Deutschland zwischen Demokratie und Dollfuss-Ära

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Deutschland zwischen DEMOKRATIE und DOLLFUSS-ÄRA [] [] Bleibt Deutschland eine parlamentarisch-demokratische Republik oder, wandelt sie sich in ein reaktionär-klerikales Regime, so wie es in Österreich, unter dem christlich-sozialen Bundeska...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Druckhaus Deutz
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/1CB2F236-8090-413B-8FFA-14DC28BADD09
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Deutschland zwischen DEMOKRATIE und DOLLFUSS-ÄRA [] [] Bleibt Deutschland eine parlamentarisch-demokratische Republik oder, wandelt sie sich in ein reaktionär-klerikales Regime, so wie es in Österreich, unter dem christlich-sozialen Bundeskanzler Dollfuß bestand? Das ist die Frage, die wahrscheinlich in kurzer Zeit entschieden wird. Während die Verhaftung der sieben ehemaligen NSDAP-Leute Aufsehen in aller Welt erregt hat, findet die weit aktuellere Gefahr, die der Demokratie durch die gegenwärtig herrschenden Regierungsparteien droht, sehr viel geringere Beachtung. [] Einer der entscheidenden Prüfsteine dafür, welchen Weg Deutschland gehen wird, ist die Behandlung des Wahlrechts - akut geworden durch die Einbringung des Wahlgesetzentwurfs der Adenauer-Regierung - das die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse auf den Kopf stellen soll. Die gegenwärtige Regierung hat bei der letzten Wahl mit 47 vH der Stimmen rund 52 vH der Parlamentssitze errungen. Es ist allgemein dieÜberzeugung vorherrschend, auch in Koalitionskreisen, daß sie bei der kommenden Wahl noch weniger Stimmen erhält - vielleicht 40 bis 45 vH. Das von der Regierung vorgelegte Wahlgesetz ist nun so abgefaßt, daß die Koalition in jedem Fall, auch bei weiteren Stimmenverlusten, nicht nur eine Mehrheit, sondern sogar eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit der Mandate erhält. [] Die sozialdemokratische Opposition, für die bei den Wahlen 1953 zweifellos mehr Wähler als für irgendeine andere Partei stimmen werden, soll nicht nur um ihr Recht gebracht werden, den Regierungschef zu stellen. Sie soll mit Wahltricks in eine solche parlamentarische Minderheit kommen, daß die jetzt herrschende Koalition ihre Herrschaft fortsetzen und darüber hinaus jede Verfassungsänderung ungestört und ungestraft vornehmen kann. [] Wenn die Wahlgesetzpläne der Adenauer-Regierung Gesetz werden, dann scheidet die Bundesrepublik Deutschland aus der Reihe jener Länder aus, in denen durch das Wechselspiel von Regierung und Opposition die demokratische Staatsform mit echtem politischem Leben ausgefüllt ist. [] Um die Demokratie vor den antidemokratischen Kommunisten zu retten, hat man in Frankreich und Italien wahlgesetzliche Mittel angewendet, über deren Zweckmäßigkeit man geteilter Meinung sein kann. Das sehr viel brutalere und weitgehendere Adenauersche Wahlgesetz würde die einzige hundertprozentig zuverlässige demokratische Partei in Deutschland, die SPD, zum Opfer der bürgerlichen Parteien machen, die bereits stark von antidemokratischen und reaktionären Elementen zersetzt sind. [] Das Ergebnis der vier Jahre Bürgerblock-Regierung in Deutschland ist vom Standpunkt der Demokratie, der Freiheit und des Fortschritts außerordentlich beunruhigend und negativ. Nicht ein einziges großes fortschrittliches Werk hat die Mehrheit des deutschen Bundestages in diesen vier Jahren vollbracht. Was an notwendigen kühnen Lösungen vorgelegt wurde, wie z. B. der soziale Gesamtplan, kam von der sozialdemokratischen Opposition - und wurde von der Regierungsmehrheit verfälscht oder verworfen. Zu keiner Zeit während des Bestehens der Weimarer Republik hat es eine so rücksichtslose und unduldsame Bürgerblockperiode gegeben, nie waren Macht- und Profitgier so ausgeprägt wie heute. [] Die Steuer- und Finanzgebarung der Adenauer-Regierung ist unverhohlen auf die Besitzsicherung und Besitzvermehrung der Wohlhabenden gerichtet. Was auf sozialpolitischem Gebiet den Bedürftigen vorenthalten wird, fließt durch die Wirtschaftspolitik der Koalition den Industriellen zu. Innen- und Justizminister scheinen zu wetteifern, wer am schärfsten gegen die freiheitliche Arbeiterbewegung vorgeht. Mit größter Skrupellosigkeit werden Steuergelder für die Propagierung parteipolitischer Interessen verwendet. [] All das ist schlimm genug. Schlimmer aber noch sind die Entwicklungslinien dieser Koalition und der sie tragenden Parteien. Die Regierung hat Tarnorganisationen geschaffen oder gefördert, die für ihre Pläne Propaganda machen sollen. Ein Teil dieser Tarnorganisationen wird von neofaschistischen und asozialen Elementen geführt - einer der Führer ist kürzlich wegen mehrerer Morde verhaftet worden --, und in einigen dieser Organisationen ist Bürgerkrieg geübt und Terror praktiziert worden. Trotz der Entlarvung des Charakters eines dieser Tarngebilde und ihres Verbots durch sozialdemokratisch geleitete Länderregierungen unterstützt sie die Regierungskoalition auch weiterhin. Die zweifelhaften Charaktere, die in diesen Tarnorganisationen wirken, können sehr wohl die Pioniere für eine "Heimwehr"-Truppe à la Dollfuß sein. [] Die Geschehnisse der letzten Monate haben im Inland und im Ausland ein wenig den Schleier gehoben, derüber der Marschroute der drei Parteien liegt, die die Adenauer-Regierung tragen. Alle drei Parteien sind auf dem Marsch nach rechts - eindeutig und in flottem Tempo! Zwei von ihnen, FDP und DP, wetteifern darum, wer am weitesten rechts und somit Wahlheimat der parteilos gewordenen "Pgs" ist. Ein Wettstreit auf Kosten der Demokratie und der Freiheit. [] Die DP - "Deutsche Partei" - hat ihre beiden Vorsitzenden als Bundesminister im Kabinett. Sie sind auf die Symbole der Republik eingeschworen; aber ihre eigene Partei weigert sich, diese Symbole an zuerkennen - wie sie auch mit Bedacht das Wort "demokratisch" in ihrem Parteinamen weggelassen hat. Es paßt zum Bild, daß einer dieser beiden Vorsitzenden öffentlich erklärte, er verneige sich in Ehrfurcht vor den Symbolen deutscher Vergangenheit, daß heißt vor dem Hitlerschen Hakenkreuz. [] In der zweiten Regierungspartei, der Freien Demokratischen Partei, mehren sich die Stimmen, die die Streichung der Bezeichnung "demokratisch"' im Parteinamen verlangen, ein Wort übrigens, das im ganzen langen Programm des wachsenden rechten Flügels dieser Partei nicht ein einziges Mal vorkommt. [] Es gibt für politisch Urteilsfähige in Deutschland keinen Zweifel - aber viele Beweise -, daß diese beiden Parteien erheblich von rechtsradikalen, alt- und neufaschistischen Elementen unterwandert sind und nicht mehr als zuverlässige Hüter der Demokratie betrachtet werden können. [] Die führende Regierungspartei, CDU/CSU, ist - besonders im protestantischen Teil Deutschlands - im ständigen Niedergang. Sie hat zweifellos breite demokratische Kreise in ihren Reihen. Das war freilich auch 1934 in Österreich bei den damaligen Christlich-Sozialen der Fall, ohne daß diese Tatsache die Dollfuß-Herrschaft und die Vernichtung der Freiheit verhindert hätte. Das Verhalten der Mehrheit der CDU/CSU im Parlament und ihrer führenden Vertreter in der Regierung läßt nur noch den Schluß zu, daß sie bereit sind, auf kein ihnen geeignet erscheinendes Mittel zu verzichten, um unter allen Umständen an der Macht zu bleiben - auch gegen eine Mehrheit des Volkes! [] Heute schon führen Bundesminister drohende Reden gegen die Gewerkschaften und lassen erkennen, daß sie auch vor Maßnahmen nicht Halt machen wollen, die es in der Weimarer Republik nicht gegeben hat. Würde diese Koalition noch einmal für vier Jahre an der Macht bleiben, dann würde aller Voraussicht nach eine freiheitliche Arbeiterbewegung, so wie wir sie heute kennen, mit dem Ziel der Vernichtung und Ausrottung von dieser Koalition bekämpft werden. [] Die Sozialdemokraten wissen, daß ein entscheidender Kampf im Gang ist, bei dem auf seiten der Gegner ohne Skrupel, mit dem Einsatz ungeheurer Mittel, gekämpft wird. [] Die Sozialdemokraten sind bereit, diesen Kampf aufzunehmen. Sie werden ihre, Taktik im einzelnen nicht vorher zu Markte tragen. Sie werden in der Verteidigung der Demokratie, der Freiheit und des Rechts alle Anstrengungen machen. Sie werden dabei den Rahmen, der einer demokratischen Partei gezogen ist, nicht überschreiten. Aber sie sind gewillt, notfalls bis an die äußerste Grenze zu gehen. [] [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn - 3.53 [] Druck: Druckhaus Deutz
Published:ca. 1953