Wussten Sie das? [Serie] Nr. 25 . Willy Brandt antwortet

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; WUSSTEN SIE DAS? Nr.25 [] Willy Brandt antwortet [] FRAGE: Die Mehrheitsentscheidung der SPD-Führungskörperschaften und der SPD-Bundestagsfraktion, in Bonn eine "Große Koalition" mit den Unionsparteien zu bilden, hat in der SPD-Mi...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Vorwärts-Druck, Bad Godesberg
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 11.1966
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/8B4EE0E6-3C52-4EC1-BF5F-0B81D7A56E2A
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; WUSSTEN SIE DAS? Nr.25 [] Willy Brandt antwortet [] FRAGE: Die Mehrheitsentscheidung der SPD-Führungskörperschaften und der SPD-Bundestagsfraktion, in Bonn eine "Große Koalition" mit den Unionsparteien zu bilden, hat in der SPD-Mitgliedschaft nicht nur Zustimmung gefunden, wie sich aus dem Wortlaut der in der SPD-Zentrale eingehenden Telegramme zeigt. Sind Sie durch diesen Vorgang überrascht worden, Herr Brandt? [] ANTWORT: Ich wäre überrascht worden, wenn es anders gewesen wäre. Diese Partei der 720000 aktiven Mitglieder ist nie eine bloße Ja-Sager-Organisation gewesen, und sie hat die auf sie zukommenden wesentlichen Entscheidungen mit dem größten Engagement jedes einzelnen Mitglieds gefällt. Ich erinnere nur an die manchmal doch recht turbulenten Auseinandersetzungen um das Godesberger Programm, das in der jüngsten Geschichte der Partei eine höchst bedeutungsvolle und nicht nur die Parteientwicklung und Parteigeschichte erheblich beeinflussende Rolle gespielt hat und weiter spielt, wie sich an vielerlei Konsequenzen ablesen läßt. [] FRAGE: Sie ziehen also auch eine thematische Parallele zwischen dem Godesberger Programm und den jüngsten Bonner Vorgängen? [] ANTWORT: Wenn Sie damit auf den von mir gebrauchten Begriff "Konsequenzen" anspielen, haben Sie sicherlich recht, wenngleich es sich natürlich um zweierlei Kategorien handelt, die ich nicht vermischt haben möchte. Jedenfalls, und darum ging es mir, hat das Godesberger Programm die Partei in ähnlicher Weise bewegt. Der große technische Unterschied ist, daß die Partei der damaligen Entscheidung eine umfangreiche und langwierige Diskussion vorausgehen lassen konnte, während diesmal rasch und entschlossen entschieden werden muß und mußte. [] FRAGE: Ihre Partei hat sich dabei in der Vorhand befunden, Herr Brandt? [] ANTWORT: Das ist richtig. Die SPD hat aus der Oppositionsposition heraus das Geschehen maßgeblich beeinflußt. Sie hat die beiden anderen Parteien mit ihrem Acht-Punkte-Programm für eine neue Bundesregierung konfrontiert und sie zur klaren Stellungnahme veranlaßt. Dabei ist dann nach vielerlei Verhandlungen und nach sorgsamsten Abwägen allen Für und Widers, aber auch aller Erfolgschancen das bei weitem größere Gewicht eindeutig genug in die Waagschale einer zeitlich begrenzten großen Koalition gefallen. [] FRAGE: Wird die Partei- und Fraktionsführung die Mitglieder und Wähler Ihrer Partei so eingehend wie nur möglich über den Gesamtvorgang mit allen seinen Entwicklungsverästelungen unterrichten? [] ANTWORT: Das ist im breitestmöglichen Umfange in die Wege geleitet. Ich bin überzeugt, Mitglieder und Wähler meiner Partei haben Verständnis dafür, daß eine solche Unterrichtung während der Verhandlungen nicht möglich gewesen ist. Zeitmangel und andere Notwendigkeiten haben dies unmöglich gemacht. Jetzt werden wir alle aufgeworfenen Fragen beantworten. Als übergeordneter Gesichtspunkt soll dabei die Eindeutigkeit der Entscheidungen angesehen werden, die Bonner Regierung maßgeblich mitzutragen und ihre Entscheidungen maßgeblich mitzuverantworten. Dieser Entschluß ergibt sich aus dem Auftrag von über 40 Prozent der Wähler und ist im Interesse von Volk und Staat geboten. Was hierzu in den letzten Monaten, Wochen und Tagen von der SPD mit gebotener Klarheit gesagt worden ist, bleibt voll gültig. Wir werden also auf dem Boden unserer Überzeugungen und Forderungen als gleichberechtigter Partner einer Bundesregierung und der sie tragenden Koalition mit allem Ernst und mit allen Kräften dazu beitragen, daß geschieht, was notwendig ist. Das heißt, die Wirtschaft zu stabilisieren und zu aktivieren, die Finanzen in Ordnung zu [] bringen und zu reformieren, den Problemen der sozialen Stabilität den ihnen zustehenden Platz einzuräumen, in der Außenpolitik initiativ für Vertrauen zu sorgen und zur Sicherung des Friedens beizutragen, die Verteidigungsfragen mit den heutigen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen und in den Bereich der gesamtdeutschen Politik vernünftige Aktivität einzuführen, was sich in der nächsten Zeit vor allem auf die Sicherung der menschlichen Zusammengehörigkeit im gespaltenen Deutschland zu beziehen hat. [] FRAGE: Und hierbei, bei diesem so straff zusammengefaßten Programm also, sagen und sehen Sie mehr Verwirklichungsmöglichkeiten in einer großen Koalition mit der CDU/CSU als in einer "Mini"-Koalition mit der FDP, Herr Brandt? [] ANTWORT: Ja. Zu diesem Ergebnis sind wir gelangt. Dabei sind uns Zustandekommen und Bestand einer SPD-FDP-Regierung als kaum realisierbar erschienen. Ganz unmißverständlich möchte ich sagen, daß die sozialdemokratischen Minister einer auf breiter Basis gebildeten Bundesregierung es weder an Initiative noch an Tatkraft noch an Durchstehvermögen fehlen lassen werden, um das von mir hier natürlich nur in groben Zügen dargelegte Programm Schritt für Schritt, aber zügig und entschlossen zu verwirklichen. Darüber sollte es nirgends Zweifel geben. [] FRAGE: Wenn wir recht unterrichtet sind, taucht in der Kritik an dem Entschluß, den Versuch einer großen Koalition zu wagen, hin und wieder der Trend auf, daß die SPD, um es nun ganz überspitzt zu sagen, durch dieses Eingehen einer Partnerschaft mit den Unionsparteien sozusagen "Verrat" an ihren Grundsätzen und an ihrer Politik übt. Wie sehen Sie das, Herr Brandt? [] ANTWORT: Das ist völlig abwegig. Ich nehme jede begründete Meinung sehr ernst und bin selbstverständlich bereit, mich mit ihr sachlich auseinanderzusetzen. Wenn meine Freunde und ich gesagt haben, daß es hoch an der Zeit ist, eine neue Politik zu treiben, dann bleibt das Wort stehen, und die CDU/CSU ist zu keiner Sekunde im Zweifel darüber gelassen worden, daß das unsere Vorstellung und Absicht ist. Nach dieser Seite ist also alles klar, und die Delegation der CDU/CSU hat unser Acht-Punkte-Programm, das diesem unserem Willen entspricht, als wesentlichen Beitrag zur künftigen Politik akzeptiert. Zu einem beachtlichen Teil ist das freilich auch von der FDP geschehen. Die Mitglieder der Verhandlungskommission der SPD sind also im Verlauf der gründlichen Sachgespräche zu der Erkenntnis gekommen, daß eine breite Basis gefunden werden sollte, um mit Aussicht auf dauerhaften Erfolg tatkräftig ans Werk gehen und es auch durchhalten zu können. Wenn dem so ist, dann wird es mit erheblichen Erfolgschancen möglich sein, die Kritiker und Zweifler zu überzeugen. Die Tatsachen, wenn sie jetzt vorgelegt werden, können zur Klärung beitragen. Und dann gilt es, durch die zielbewußte Leistung und Aktivität der SPD-Minister zu zeigen, was wir für Deutschland einzubringen vermögen. Im übrigen, und das will ich hier nun ganz pointiert sagen, hat sich die SPD überhaupt nichts vorzuwerfen und braucht sich nichts vorwerfen zu lassen. Man sollte überall dort, wo man die gegenwärtige Lage prüft und [] diskutiert, doch auch nur daran denken, daß mit dem Eintritt der SPD als einer großen, demokratischen und staatstragenden Partei in die partnerschaftlich gebildete Bundesregierung etwas Neues geschieht. Die Zeiten sind vorbei, in denen man es sich erlauben zu können glaubte, die deutsche Sozialdemokratie zu diffamieren. Wenn man hier von "Wandel" redet, dann gilt das jedenfalls nicht für die SPD. [] FRAGE: In der Diskussion innerhalb der SPD spielen die Namen Kiesinger und Strauß eine große Rolle. Was sagen Sie dazu, Herr Brandt? [] ANTWORT: Natürlich denke ich nicht daran, die sich an diese Namen anknüpfende Diskussion, die ja auch außerhalb der Bundesrepublik eine Rolle spielt, zu verniedlichen oder gar unter den Tisch fallen zu lassen. Aber ich meine, und das nun doch sehr entschieden, daß erstens die Sachprobleme nicht aus den Augen verloren werden sollten und daß man zweitens aus Herrn Strauß nicht die Zentralfigur der deutschen Politik machen muß. Ich weiß nicht, ob der CSU-\/orsitzende einer neuen Bundesregierung angehören wird. [] Aber die CDU/CSU und Herr Strauß selber wissen [!], wie wir Sozialdemokraten den Vorgang des Jahres 1962 beurteilen und für wie erwünscht wir eine klärende Äußerung halten. [] Zu der Diskussion um Herrn Kiesinger habe ich schon darauf hingewiesen, daß ich ihn im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und in den acht Jahren der Zusammenarbeit im Bundesrat als einen Mann kennengelernt habe, der mit redlicher Gesinnung zur sachlichen Kooperation bereit und fähig ist, und das sollte auch gelten. Er ist nicht von der SPD, sondern von der stärksten Fraktion des Bundestages nominiert worden. Ich würde in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auch ein Stück Darstellung der deutschen Wirklichkeit sehen. Das Echo aus dem Ausland nehme ich nicht auf die leichte Schulter, aber es gibt dabei auch stark übertriebene Äußerungen, und ich hoffe sehr, daß diese Frage in absehbarer Zeit nüchterner betrachtet wird. [] FRAGE: Noch eine Frage zu einer Meinung, Herr Brandt, daß die SPD eigentlich doch "draußen vor der Türe bleiben" sollte. Halten Sie das für eine vertretbare Ansicht? [] ANTWORT: Ich verüble niemandem seine Ansicht, wenn er sie vernünftig begründen kann. Das würde auch für das "Draußen-vor-der-Türe-bleiben" gelten können, wenn die Argumente dafür durchschlagen würden. Ich habe schon vorhin gesagt, daß es nicht nur nach meiner Überzeugung wirklich hohe Zeit für die Entscheidung gewesen ist, in Bonn mitzuregieren. Die über 40 Prozent Bundeswähler haben sich nicht deshalb für uns entschieden, daß wir den Karren weiter abrutschen lassen, der ja schließlich unser aller Karren ist. Aber lassen Sie mich doch zu Ihrer letzten Frage noch ein letztes Wort sagen: Wer auf der einen Seite Zeter und Mordio über die Wahlgewinne einer rechtsradikalen Gruppierung schreit, der muß auf der anderen Seite bereit sein, alles in seinen Kräften Stehende dafür zu tun, daß in demokratischer Art, aber auch mit demokratischer Tatkraft einem Wegrutschen Einhalt geboten wird. Mit verschränkten Armen zusehen, das verträgt sich nicht mit dem Mahn- und Warnruf, daß es nie wieder eine Zeit geben darf, in der die Demokratie offenen Auges zuläßt, daß extremistische Kräfte aufstehen, die dieser Demokratie Schaden zufügen könnten. Auch deshalb habe ich mich auch persönlich entschieden, in Bonn Regierungsverantwortung zu tragen. [] Die SPD mutet sich eine große Anstrengung zu und hofft, daß auch viele derer, die heute unsicher oder sogar unruhig sind, erregt sind, dann hinterher mit uns sagen werden: Es hat sich gelohnt. [] weitersagen . . . weitergeben . . . weitersagen ... [Kopfzeile der Seiten 2-8]
Published:11.1966