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Warum [] Willi Wessel [] wurde am 7. Januar 1937 in Diepenau (Hann.) geboren. Nach der Volksschule kam er ins Ruhrgebiet, lernte auf der Hertener Zeche "Schlägel und Eisen" Bergmann und bestand die Knappenprüfung mit Auszeichnung. 1957 legte er die Hauerprüfung ab. Bereits mit 22 Jahren Betriebsrat, wurde er 1967 als 30jähriger der jüngste Betriebsratsvorsitzende im Revier. Er gehört dem geschäftsführenden Ausschuß des Gesamtbetriebsrats der Hibernia-AG an und ist Mitglied des Aufsichtsrats der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Scholven GmbH. Willi Wessel, Bezirksvorstandsmitglied Ruhr-Nord der IG Bergbau und Energie, wurde 1964 Stadtverordneter in Herten (Westf.). Er ist verheiratet und hat drei Söhne. [] Schon mit 18 Jahren trat Willi Wessel der SPD bei. Seit 1965 ist er Vorsitzender des SPD-Stadtverbands Herten. [] ... bin ich Sozialdemokrat [] Daß ich als junger Mann zur SPD kam, ist an sich kein Wunder: Ich bin ein Arbeiterkind. Mein Vater war Maschinist, mein Großvater Ziegeleiarbeiter. Schon von daher war "alles klar". Für uns zu Hause gab es als Partei nur die SPD. Den Rest besorgten die Nazis: Als sozialdemokratischer Funktionär wurde mein Vater 1933 entlassen, er machte Untergrundarbeit und wurde eingesperrt. Sechs Kinder waren wir daheim. Die Mutter hatte es nicht leicht bei "so einem Mann". Ich habe das damals natürlich nicht bewußt empfunden, ich war ja noch ein Kind. Aber alles das hat später meine politische Willensbildung doch irgendwie beeinflußt. [] Nur die berühmte "Prägung vom Elternhaus" her? Das wäre zu einfach. Schon als Schüler habe ich mir sehr ernsthaft eigene Gedanken darüber gemacht, wie es zu diesem schrecklichen Krieg hatte kommen können. Wer oder was versagt hatte. Was wir Jungen wohl tun könnten, um mitzuhelfen, aus den Trümmern und der Not wieder herauszukommen. Meine ersten politischen "Idole" waren Kurt Schumacher und Carlo Schmid. Für sie schwärmte ich zunächst einmal bloß, wie eben Jungen so schwärmen. Später halfen mir ihre Reden und Schriften bei der Festigung meines politischen Standorts. [] Im Pütt erfuhr ich sehr schnell, daß es nur zwei Kräfte gibt, die sich ehrlich und wirksam für die Interessen der arbeitenden Menschen einsetzen: die SPD und die Gewerkschaften. Gerade als Kumpel kommt man da zu frühen Einsichten. In anderen Wirtschaftszweigen dauert es vielleicht ein gutes Stück länger. Kohlenstaub verschmiert eben nicht bloß die Augen, er macht auch klarsichtig für die Verhältnisse in unserer Gesellschaft und für das, was an ihnen zu ändern, zu verbessern ist. [] Es war kein Spaß, in der Grube zu arbeiten. Schon gar nicht für uns Jungen. Von Anfang an kämpfte ich deshalb mit für die Schaffung eines vernünftigen Jugendarbeitsschutzgesetzes. Wie war das denn, damals in den 50er Jahren? Wir Jugendlichen mußten Spätschichten fahren, kamen mittags um zwei zur Arbeit, um erst nach zehn - mitten in der Nacht also - heimzukommen. Schöne Freizeit! [] Monatelang hintereinander wurden wir jungen Bergleute damals nicht nur in Spätschichten, sondern auch bei der sogenannten Lesebandarbeit eingesetzt. Das ist eine scheußlich schwere Arbeit: die dicken Gesteinsbrocken vorn Band herunterheben, zu zweit, zu dritt. Dazu machen die Fließbänder einen Heidenlärm, die "Phonstärke" kann sich ein Laie kaum vorstellen. Aber wir waren ja billige Arbeitskräfte. Auf die "jungen Spunde" wurde nicht viel Rücksicht genommen; die sollten einfach ran. Wir haben damals kräftig protestiert und demonstriert. [] Aber erst 1961, mit dem neuen Jugendarbeitsschutzgesetz, hatten wir es geschafft: Wir kamen los von den Spätschichten, aus der 48-Stunden-Woche wurde die 40-Stunden-Woche, der Urlaub für Untertagearbeiter erhöhte sich von 21 auf 28 Tage. Ohne die SPD wäre das alles nicht erreicht worden. [] Jugend- und Ausbildungsfragen sind auch heute noch mei "Hobby". Ich fühle mich gar nicht als einer vom "Establishment". Die APO - oder das, was sich darunter versteht - findet nur sehr begrenzt meinen Beifall: Wir brauchen keine Revolution, wenn nur die Evolution zielklar vorangetrieben wird. [] Sorge Nr. 1 für uns war nach der Mißwirtschaft der früheren Bundesregierungen die Erhaltung der Arbeitsplätze. Zwei Jahre lang, 1966 und 1967, zitterten wir, ob auch unsere Zeche stillgelegt würde. Aber wir sind noch einmal davongekommen. Zur Zeit ist es sogar so, daß wir nicht mal so viel Kohle fördern können, wie der Markt braucht. Die Haldenbestände an der Ruhr sind bald geräumt. Während auf den Zechen der Hibernia 1967 insgesamt noch 22 Feierschichten verfahren werden mußten, war es im letzten Jahr auf der Zeche "Schlägel und Eisen" nur noch eine. [] Daß es wieder aufwärtsgeht, daß sich die Situation im Bergbau stabilisiert hat, verdanken wir der Großen Koalition, in erster Linie aber Professor Schiller, unserem sozialdemokratischen Bundeswirtschaftsminister. Die Einheitsgesellschaft Ruhrkohlenbergbau war nur mit einem SPD-Wirtschaftsminister möglich - darüber sind sich hier auch alle Kollegen klar. Wenn ich das mal so sagen darf: Schiller wird im Ruhrgebiet der Wahlschlager sein. [] Natürlich ist die Kohle geschrumpft, natürlich hat es Umsetzungen gegeben. Bis 1957 waren bei uns in Herten noch 80 Prozent aller Arbeitnehmer vom Bergbau abhängig - jetzt sind es nur noch 40 Prozent. 1957 arbeiteten bei der Hibernia insgesamt noch fast 30000 Kumpel untertage - heute sind es nur noch knapp 11000. Es gab in der Tat große Schwierigkeiten. Aber unsere Sozialpläne haben alles in allem glänzend funktioniert. [] Kummer machen mir manche Einzelschicksale. Es handelt sich fast ausschließlich um ältere Kumpel, die schwer anderswo unterzubringen sind, die mit 55 Jahren noch nicht zum "alten Eisen" geworfen werden möchten. Erst dieser Tage wieder kam einer, der sagte: "Kollegen, gebt mir Arbeit, sonst werde ich verrückt; ich zahle sogar noch was drauf!" Es wird eine ganz wesentliche Aufgabe unserer Partei sein müssen, dabei mitzuhelfen, daß die "Alten" - die die oft eben gar nicht so "alt" sind - mit ihrer Freizeit etwas Sinnvolles anfangen können. [] Vor allem aber muß der Bergbau sicher sein, daß er eine Zukunft hat. Der Kumpel muß wissen, daß er auch weiterhin gebraucht wird. Infolge der Ungewißheit in den letzten Jahren macht sich bereits ein erheblicher Mangel an bergmännischem Nachwuchs bemerkbar. Das darf nicht so bleiben. Unsere Partei wird das Nötige tun. [] Das sind keine billigen Sprüche. Was eine kluge und zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik vermag, hat die SPD seit Dezember 1966 klar bewiesen. Die Arbeitnehmer im Ruhrrevier hatten das Vertrauen in den Staat damals fast ganz verloren. Sie haben es inzwischen wiedergewonnen. [] Wir wünschen uns hier eine SPD, die so stark ist, daß sie die Bundesregierung allein bilden kann. Übrigens: alle 17 Mitglieder unseres Betriebsrats sind auch Mitglied der SPD. Sie wissen - wie ich - warum. [] Ihr Willi Wessel [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn
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