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DIE KURZGESCHICHTE Auf Ehrenwort Nach einer wahren Begebenheit [] PREIS 5 RPF. HERAUSGEGEBEN VON DER KPD LANDESLEITUNG NIEDERSACHSEN [] Ein kalter Nordostwind bläst in den Novembermorgen über das Bourtlanger Moor ... Schemenhaft - wie Grabkreuze - ragen aus dem Bodennebel vereinzelte hohle Birken, verkrüppelte Mooreichen und Wacholdergestrüpp. Trostlos, öde und stumm grenzt sich die Moor- und Heidelandschaft der Ems wie ein toter Körper gegen das frische, lebensbejahende angrenzende Holland ab. Bei guter, klarer Sicht kann man auf der anderen Seite die kleinen Siedlungen und Häuser mit ihren frischen, grellroten Dächern deutlich erkennen, die uns wie Wegweiser dünken. [] Wie stets, so auch heute schon im ersten Morgengrauen herrscht im Kz-Lager "Sustrum" Hochbetrieb. Die großen Jupiterlampen und Scheinwerfer sind noch in Tätigkeit, tasten mit ihren unbarmherzigen künstlichen Lichtbündeln die doppelten Drahtverhaue, Plätze und Baracken ab. Posten- und Streifendienst der SS hat Wachablösung. Langsam nur weicht die Nacht dem kommenden Tag. Appell und Stärkemeldung ergibt: ein Mann weniger. Die Belegschaft sieht unter dem Eindruck der soeben bekanntgegebenen Nachricht, daß ein Insasse der Baracke 7 sich durch Erhängen das Leben genommen habe. Morgen früh werden zwei Kameraden den Toten zum Gefangenen-Friedhof hinübertragen, und zum Gefolge wird, ein SS-Mann und ein Hund bestimmt. [] In den erwachenden Tag marschieren mit geschultertem Spaten graue Kolonnen ins Moor. Elfhundert Mann. Seit einigen Tagen rückt ein 70 Mann starkes Kommando zur Ausbesserung des "Süd-Nord-Kanals" und zur Beschaffung von Stroh in die zwei Stunden vom Lager entfernt liegende Siedlung D ... ab. Häftling Karl B ... spürt immer stärker das schmerzhafte, brennende Gefühl in der Leistengegend. Ursache sind einige Kolbenschläge, die der ausführende SS-Mann als "Fehlzündung" bezeichnete. Ein Aufatmen, einer Erlösung gleich, bedeutet die soeben verkündete Pause. Einige hundert Gramm Brot, ein Stückchen Zementleberwurst ist der Gefangenen Mittagstisch. Den im Kreise versammelten Häftlingen bringt die Moorhofbäuerin mit erbettelter Erlaubnis eine Kanne Buttermilch, und im unbewachten Augenblick fällt zur Bereicherung des Gefangenen-Diners noch ein Laib Brot ins Stroh ... Der Wind hat nachgelassen, doch dafür setzt ein schwacher Regen ein und breitet über Moor und Heide seinen Nebelmantel aus. [] Gleich hinter der Scheune verläuft ein Moorgraben in nördlicher Richtung, der holländischen Grenze zu. [] Nach allen Richtungen ausspähend, an den Boden gepreßt, bewegt sich Karl B ... Meter um Meter der Grenze zu, achtet nicht auf die triefende Nässe, die schmutzige Gefangenenkleidung. Mit magnetischer Kraft zieht es ihn fort - fort aus dieser Hölle. Denn hinter ihm lauert der Tod. [] Dort drüben im Moorhof arbeiten die Häftlinge - bis der Befehl ertönt: "Fertigmachen zum Abmarsch". - "Abzählen", "Abzählen". "Ein Mann fehlt ... Ein Mann fehlt!" tönt es zurück. Auf dem Bruchhofe herrscht Gewitterstimmung. Und alles Suchen nützt nichts. Die SS hat Windstärke 9. Der negative Verlauf trägt den Gefangenen auf dem Heimweg ins Lager Kolben- und Faustschläge ein. Der Lagerkommandant läßt sich über diesen Vorfall Bericht erstatten. Entzug des Abendbrots und Exerzieren bis 22 Uhr wird befohlen. [] "So eine Schweinerei. Der Mann muß gefunden werden. Alle Lager sind sofort zu benachrichtigen", brüllt der Kommandant. "Es ist eine Gefahr, wenn der Schutzhaftgefangene Karl B ... die holländische Grenze erreicht. Wenn Berlin es erfährt, kann ich einpacken. Und die Holländer ... Die Juden ... Die Presse. Ich verlange ihn tot oder lebendig. Schafft mir den Mann her." [] Heute gleicht das Lager einem Tollhaus. Heute feiert der Wahnsinn Triumphe bis in die späte Nacht. Die Nacht ist um, ein neuer Tag beginnt. [] Das kleine holländische Grenzstädtchen hat heute eine kleine Sensation. Die Nachricht, daß ein deutscher Schutzhaftgefangener aus einem in der Grenznähe liegenden Lager geflohen ist, bietet Stoff, sich in allerlei Mutmaßungen zu ergehen. Schon am frühen Morden herrscht auf der Zollgrenzstation ein geschäftiges Treiben. Zollkommissar G ... läßt sich vom diensthabenden Beamten Bericht erstatten. Doch ehe eine weitere Ueberführung des Flüchtlings nach Groningen erfolgen kann, wird erst die Bestätigung des Innenministeriums erwartet. Inzwischen wird dem Gefangenen eine reichliche und gute Kost vorgesetzt, die er dankbar entgegennimmt. Kaum, daß er sich ein wenig gestärkt, fällt er in einen tiefen Schlaf ... Dankbar dem Schicksal, diesen Weg beschritten zu haben. Plötzlich wird er wach. Vor ihm steht lächelnd Zollkommissar G ... "Bleiben Sie nur sitzen. Ich will Sie noch etwas fragen. Da ist soeben auf der Grenzstation Ihr Lagerkommandant erschienen. Erschrecken Sie nicht ... Er bittet Sie um eine Unterredung. Ich mache Sie aufmerksam, daß Sie dazu nicht verpflichtet sind. Sie stehen, wie ich Ihnen bereits schon heute morgen sagte, unter unserm Schutz. Sie werden auch nicht ausgeliefert. Ich betone es, es sei denn, auf eigenen Wunsch. Ihr Kommandant hat so ganz nebenbei ihre Eltern erwähnt." Karl B ... sitzt, die Hände vor den Kopf gestützt, vor seinem geistigen Auge erlebt er noch einmal seine und der Kameraden Haftzeit. All die Qual - die Not - das Leid. - Oh, wie langsam verrinnen die Stunden, Tage und Wochen. Ein halbes Jahr, ein halbes Jahr. Man ist müde und alt geworden. Und doch ist man so blutjung mit seinen 27 Jahren. Das alles im ersten Jahr des Dritten Reiches. Meine Eltern, meine kranke Mutter. Ja, was haben sie damit zu tun? Gut. Ich will den Kommandanten sprechen, "er" soll es wissen. All die mir und den Kameraden angetane Schmach. All die an der unschuldigen menschlichen Kreatur begangenen Grausamkeiten soll er hören. "Gut, ich komme mit." Im Dienstzimmer der Zollstation wird Karl B ... dem Lagerkommandanten gegenübergestellt. Ehe er sich der Verwandlung des Kommandanten, der heute in Zivil erschien, recht klar geworden ist, übermittelt dieser mit lächelnder Miene seiner Kameraden Grüße mit der Bitte, doch zurückzukehren. Es wird ihm alles verziehen. "Wenn Sie zurückkehren, werde ich mich für Sie verwenden", spricht der Kommandant. "Es wird Ihnen nichts nachgetragen. Denken Sie an sich und an Ihre Eltern. Ich werde Sorge tragen, daß Sie in den nächsten Tagen entlassen werden ... Ich gebe als Kommandant mein Ehrenwort, daß Ihnen kein Haar gekrümmt wird. Mein Ehrenwort darauf." Doch zu grausam sind die Eindrücke, die Karl B ... erlebt und durchgekostet. Noch kann er die Worte nicht fassen. Ist denn so etwas möglich? Wo [...] hier die Grenze der Lüge, wo die Grenze der Wahrheit? Kann ein Mensch, dem ein Menschenleben nichts gilt, sich so wandeln? Hier steht er auf fremdem Boden. Wer weiß, ob er jemals seine Eltern und Geschwister wiedersieht. Dort ist die Heimat, dort sein Elternhaus. Vielleicht darf er bald zurückkehren, und alles wird wieder gut ... Mein Ehrenwort, sagte der Kommandant. Kurzentschlossen verabschiedet sich Karl B ... von seinen Gastgebern und verläßt unter Kopfschütteln der anderen mit dem Kommandanten das Zollhaus. [] Durch das trostlose "Bourtlanger Moor" läuft in den Nachmittagsstunden ein Mensch, durch einen SS-Mann und Hundegebell gehetzt. Blutüberströmt, mit in Fetzen gerissener Kleidung bricht Karl B ... auf dem Lagervorplatz zusammen ... In den Abendstunden wird ein Mann aus dem Bunker geführt ... Ins Moor, ins Moor. Und in den erwachenden Tag tragen zwei Kameraden Karl B ... zum letzten Mal ... Und zum Geleit, ein SS-Mann und ein Hund ... [] Aug. Eugen Rudzinski [] CBH 37, Hannover 211/100000, III. 47. Kl.C
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