Es wird ernst

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Es wird ernst [] Von Dr. Dr. Gustav W. Heinemann, Bundesminister a. D.. [] Die Zeit des Überganges in den USA ist zu Ende. Eisenhower hat die Regierung angetreten und sein Kabinett der großen Geschäftsleute gebildet. Die Wahlparolen beginnen,...

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Bibliographic Details
Main Authors: Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP); Heinemann, Gustav, A. Bagel, Düsseldorf
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Published: 02.1953 - 05.1953
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Online Access:http://hdl.handle.net/11088/678432F5-1404-4E13-8F2C-D1D27AA81C76
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Es wird ernst [] Von Dr. Dr. Gustav W. Heinemann, Bundesminister a. D.. [] Die Zeit des Überganges in den USA ist zu Ende. Eisenhower hat die Regierung angetreten und sein Kabinett der großen Geschäftsleute gebildet. Die Wahlparolen beginnen, sich in offizielle Regierungspolitik umzuformen. Etliches wird dabei auf der Strecke bleiben. Das für uns alle Bedeutsamste aber wird nicht im großen Meer der Wahlschlager untergehen, sondern ist inzwischen zum Rang der amtlichen Erklärung erhoben worden, nämlich das Programm der umfassenden Neuordnung Osteuropas und Ostasiens. Als Eisenhower im August vorigen Jahres in einer Wahlrede vor der Amerikanischen Legion erklärte, die Vereinigten Staaten müßten dem Kreml "ein für allemal klarmachen, daß sie niemals auf die Dauer eine Vorherrschaft Rußlands in Osteuropa und Asien anerkennen würden", ging so etwas wie eine Bestürzung über dieses aggressive Programm durch die Welt. Insbesondere sein Gegenkandidat Stevenson nahm sofort Veranlassung, sich von diesen kämpferischen Ausführungen zu distanzieren. John Foster Dulles hingegen fuhr fort, die Trumansche Politik der bloßen Eindämmung des Kommunismus als Fehlschlag anzuklagen und die "Aushöhlung" des Sowjet-Blocks als die allein mögliche Politik zu fordern. [] Nunmehr haben Eisenhower und Dulles die Verantwortung angetreten. Eisenhower ist gewählt, und am 15. Januar dieses Jahres erteilte der Außenpolitische Ausschuß des amerikanischen Senates einstimmig seine Zustimmung zur Ernennung von Dulles zum Außenminister. Dieser Zustimmung ging eine Darlegung des Programms voraus, das Dulles zu verfolgen gedenkt. Es ist das Programm der Neuordnung Osteuropas und Ostasiens. Dulles sagte vor dem Parlamentsausschuß, es sei das oberste Ziel der amerikanischen Politik, jenes Drittel aller Völker der Welt zu befreien, das vom Kommunismus beherrscht werde. Diese Befreiung liege im Interesse Amerikas. Er sagte ferner, daß Amerika das Fortbestehen "jener unheiligen Bindung zwischen Moskau und China" nicht dulden könne. Als den Weg zu diesen Zielen bezeichnete er den moralischen Druck und das Gewicht der Propaganda, die es gegen die Völker im russischen Machtbereich zu entfalten gelte. Ein Befreiungskrieg sei nicht gemeint. Kurz darauf benutzte Eisenhower selbst am 2. Februar seine erste amtliche Botschaft an den Kongreß, um die Aufhebung der Neutralisierung Formosas bekanntzugeben und die geheimen Abmachungen Roosevelts mit Stalin von Jalta über Gebietserweiterungen der Sowjetunion zu kündigen. [] Aktive Wendung gegen Moskau [] Damit ist an die Stelle der Eindämmung der Sowjetunion nunmehr amtlich die Politik der Zurückdrängung Moskaus aus seiner Beute des zweiten Weltkrieges gesetzt. Die Vereinigten Staaten haben die Moskauer Erklärung des kalten Krieges der kommunistischen Weltdurchdringung nunmehr ihrerseits mit der Erklärung des kalten Krieges zur Aushöhlung des Sowjetblocks und zur Befreiung der von Moskau beherrschten oder an Moskau gebundenen Völker beantwortet. [] Damit hat sich am tatsächlichen Zustand der Welt noch nichts geändert. Die gefährliche Kluft zwischen den ehemaligen Verbündeten war auch schon vor dem Regierungsantritt von Eisenhower und Dulles da. Beide Weltmächte lagen bereits in scharfem Streit gegeneinander. Und doch ist der Zeiger der Uhr abermals ein Stück vorangerückt, wenn wir als erstes Faktum des Jahres 1953 feststellen müssen: Die Vereinigten Staaten haben amtlich ihr Fernziel der großen Neuordnung in Europa und Asien proklamiert. [] Diese Klärung der Situation ist gut. Sie gibt den Überlegungen aller Mitverantwortlichen eine bessere Grundlage als Vermutungen und Spekulationen - auch und gerade in der Bundesrepublik. Für den Bundeskanzler ist das amerikanische Programm zweifellos keine Überraschung, sondern nur die folgerichtige Entwicklung der ja auch von ihm laut seiner Heidelberger Rede vom 1. März 1952 angestrebten Neuordnung Osteuropas (Bulletin S. 254). Aber die einfältigen Bewunderer seiner Politik sollten nun endlich erkennen, wohin die Reise geht. [] Dem Programm der neuen amerikanischen Regierung entspricht zunächst eine Forderung der von den Vereinigten Staaten betriebenen militärischen Einschnürung der Sowjetunion. Diese wird immer enger und schlagkräftiger. Wenn beispielsweise um den Nordpol in Thule auf Grönland ein amerikanischer Luftstützpunkt entsteht, von dem aus strategische Bomber in fünf Stunden jedes russische Industriezentrum in Sibirien erreichen können, und andere Stützpunkte in der Arktis zur weiteren Verkürzung der Flugzeiten noch näher an Rußland herangeschoben werden, so ist das Zug-um-Zug-Spiel auch in den Regionen des ewigen Eises in vollem Gange. Als wichtigstes Glied in ihrem Aufmarsch gegen Moskau vermissen die USA freilich immer noch die sogenannte Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Ihretwegen hat sich Dulles sogleich auf die Reise nach Westeuropa begeben, um zumal in Paris, aber auch in Bonn und in London nachdrücklich zu sagen, was der amerikanische Steuerzahler erwartet. Für den Bundeskanzler ist der Besuch höchst erwünscht. Dieser kann seinen Opponenten einmal gründlich die Meinung sagen; denn "ihm werden sie es ja wohl glauben müssen". [] In Frankreich haben die Auflehnung gegen die Wiederkehr deutscher Soldaten und das Einlenken auf das amerikanische Programm in gleicher Weise ihren Ausdruck in der neuen Regierung Mayer gefunden. Sie erkaufte ihren Start mit gaullistischen Stimmen durch die Zusage von Änderungen des Vertragswerkes und machte sich zugleich daran, das unveränderte Vertragswerk endlich vor das Parlament zu bringen. Im Begleitbericht der französischen Regierung an das Parlament heißt es: "Die wichtigste Aufgabe der alliierten Strategie, die Verteidigung Europas so weit östlich wie möglich, ist auf die Dauer nicht zu erfüllen, wenn die Bundesrepublik nicht zur gemeinsamen Verteidigung beiträgt." Der immer noch nicht überwundene innere Widerstreit der Franzosen lockert sich anscheinend zugunsten der amerikanischen Konzeption, was nicht ausschließt, daß Frankreich ernstlich versuchen wird, die sogenannte Europäische Verteidigungsgemeinschaft noch weiter zu entstellen. Die Züricher "Tat" schrieb bereits Ende Januar: "Noch selten hat eine politische Neuschöpfung einen so irreführenden Namen getragen wie Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Es handelt sich weder um Europa, noch primär um die Verteidigung, noch um eine Gemeinschaft." Dieses Urteil wird vollends gelten, wenn Frankreich eine Auslegung der sogenannten Europa-Armee erreicht, die in Wirklichkeit seine Nationalarmee bestehen läßt. Die deutschen Divisionen sollen natürlich als sogenanntes europäisches Kontingent effektiv unter der Aufsicht des Kommissariates bleiben, die Divisionen der anderen Nationen aber nur symbolisch. Damit wäre die sogenannte Europäische Verteidigungsgemeinschaft endgültig als das dargestellt, was sie nach der Absicht ihrer französischen Väter von Anfang an sein sollte, nämlich als ein Instrument zur Nutzbarmachung deutscher Soldaten bei gleichzeitiger Unschädlichmachung für jeden eigenen deutschen Willen. Wir werden abzuwarten haben, wie dieses Spiel ausgeht und wie weit der Bundeskanzler darin noch nachgeben zu können glaubt. Auch die endgültige Klärung der Saarfrage im Sinne der Autonomie soll ja noch voraufgehen. Wundert man sich eigentlich, daß der Europa-Gedanke einen immer schlechteren Geschmack hinterläßt? [] "Friedliche Aushöhlung" [] Natürlich sollen alle Rüstungen und Rüstungspläne der Westmächte nur eine Untermalung ihrer Politik gegen Moskau sein, aber nicht den eigentlichen Weg der Neuordnung in Europa und Asien bezeichnen. Sowohl Eisenhower wie Dulles und Adenauer versichern immer wieder, daß sich die Auseinandersetzung mit Moskau lediglich durch friedlichen Druck vollziehen soll. Wirtschaftliche Absperrung, Propaganda und Ermunterung von Widerstand in den Völkermassen des russischen Bereiches sollen die Sowjetunion aushöhlen und weich machen. Das ist die These. Wie aber wird der Verlauf sein? [] Zunächst ist deutlich zu spüren, daß Moskau den Gegendruck in seinem ganzen Machtbereich verstärkt. Dazu gehören die radikale Klärung seiner Positionen in den Satellitenstaaten (Prager Prozeß) einschließlich der DDR (Fall Dertinger usw.) ebenso wie die verstärkten Bemühungen um Gleichschaltung der Kirchen, die ja in Polen schon lange dazu geführt haben, daß der dortige katholische Klerus einschließlich des nunmehrigen Kardinals Wyszinski seinen modus vivendi mit der Verfechtung der Oder-Neiße-Linie als der angeblich historischen Grenze Polens und der angeblich gerechten Rückkehr der katholischen Kirche auf protestantisches Gebiet erkaufen muß. Alle Einzelheiten dieser Vorgänge im östlichen Bereich zu konstatieren, erscheint müßig. Es ist zwangsläufig, daß eine starke Faust die andere treibt und jede Seite jede Gelegenheit wahrnimmt, dem Gegner den Rang abzulaufen. Der weltweite Gegensatz steigert sich zu einer grauenvollen Tiefe, und es ist erschreckend zu sehen, wie die Beteiligten hüben und drüben sich immer mehr in den Zirkel ihrer Aktionen und Gegenaktionen verstricken. Jede Warnung und jeder Ruf zur Besinnung stoßen bei den Akteuren auf eine immer leidenschaftlichere Ablehnung und Mißdeutung. [] Der so oft als der beste Rußlandkenner gepriesene Kennan, bis vor kurzem amerikanischer Botschafter in Moskau, war der erste, der die These von der friedlichen Aushöhlung der Sowjetunion als eine Illusion bezeichnete. Er erwiderte Dulles, daß der Gehorsam eines Volkes für eine moderne Polizeidiktatur nur ein sehr kleines Problem sei. Wissen wir das nicht ebenfalls aus unserem Erleben nach 1933? Der Einwand von Kennan wurde beiseitegeschoben. Aber sein Gewicht bleibt. Wenn die friedliche Aushöhlung der Sowjetunion nicht gelingt und Moskau die friedliche Herausgabe seiner Beute in Europa und in Asien verweigert, wird die amerikanische Politik in einer Sackgasse oder eben doch in der mit so viel Betonung abgeschworenen Katastrophe enden. Das eine wie das andere läßt uns die Leidtragenden sein. Sackgasse bedeutet die Fortdauer der Spaltung unseres Volkes und die dauernde Auslieferung des restlichen Volksteiles hinter dem Eisernen Vorhang an das bolschewistische System. Krieg bedeutet den Untergang unseres Volkes. [] Es gibt nur ein Stück des russischen Machtbereiches, über dessen friedliche Herausgabe zu verhandeln Moskau sich bereit erklärte. Dieses Stück ist die russische Zone Deutschlands. Moskau bot am 10. März 1952 ihre Herausgabe unter der Bedingung an daß ein wiedervereinigtes Deutschland sich nicht an militärischen Bündnissen gegen Moskau beteilige. Dieses Angebot haben die Westmächte unter Zustimmung des Bundeskanzlers bisher nicht auf seinen Ernst geprüft, sondern mit einem Schwall von Scheinparolen zugedeckt. Wenn es dabei bleibt, wird es für alle Zeit einer der bittersten Vorwürfe gegen die Bundesregierung sein, daß sie dem deutschen Volk die Zusammenhänge nicht einmal einsichtig gemacht, sondern von vornherein zugunsten ihrer Absichten des Westabmarsches in einem Nebel von Forderungen nach russischen Vorleistungen weithin verschleiert hat. Es wird aber nicht minder ein Vorwurf gegen die sozialdemokratische Opposition bleiben, daß auch sie die Zusammenhänge nur zwiespältig aufgedeckt und eine entgegengesetzte außenpolitische Konzeption nicht in klarer Weise entwickelt hat. Vielleicht könnte es auch jetzt noch Zeit sein. Aber immer noch läßt Bonn es darauf ankommen, daß eine Ablehnung der EVG im französischen Parlament den Russen zum Geschenk macht, was sie uns gegenüber durch die Herausgabe ihrer Besatzungszone zu belohnen anboten, nämlich den Verzicht auf unsere militärische Einbeziehung in den Westen. Immer noch läßt Bonn im Unklaren, wie man sich die deutsche Wiedervereinigung ohne Eingehen auf die russiche Note vom 10. März 1952 denkt. Glaubt man dort ernstlich an die friedliche Aushöhlung der Sowjetunion? Und wie lange will man inmitten des steigenden Flüchtlingsstromes aus der DDR den Menschen hinter dem Eisernen Vorhang noch zurufen, sie möchten doch die gepriesene Anziehungskraft des Westens nicht zu persönlich verstehen, sondern auch und gerade unter den Verschärfungen des beiderseitigen kalten Krieges ausharren und das deutsche Land drüben nicht für nachrückende Russen und Asiaten räumen? Wie wenig die Befürworter der Westverträge eine Vorstellung von der Lösung der deutschen Not haben, klang aus einer Neujahrsbetrachtung von Ehlers heraus, in der er schrieb: "Wir wissen nicht zu sagen, wann die politische Verwirklichung unsers [!][unseres] Wollens zur Einheit kommt und auf welche Weise." Ist das für die beharrliche Empfehlung des Westabmarsches der Bundesrepublik und die bösartigen Vorwürfe gegen die Befürworter eines Zugehens auf das russische Angebot vom März 1952 nicht doch zu wenig an Substanz? Wenn man nicht an die These von der friedlichen Aushöhlung der Sowjetunion glaubt, wäre es gut, das offen zu sagen! [] Die Lage in Ostasien [] Die akuten Entwicklungen vollziehen sich zunächst im asiatischen Bereich. Eisenhower hat Tschiangkaischek die Starterlaubnis zum Angriff auf das chinesische Festland gegeben. Der heiße Krieg kann einen neuen Frontabschnitt eröffnen. Diesmal wollen die Amerikaner den Vorteil haben, daß sie in der Hinterhand bleiben können. In Korea wird die Ablösung von UN-Truppen durch Südkoreaner betrieben. Auch Bao Dai in Indochina kann mit stärkerer Förderung rechnen. Aber das alles bleibt vordergründig, solange sich Japan nicht erneut zum Eingreifen gegen asiatische Rasseverwandte verführen läßt. Insbesondere England hat gegen die Eisenhowersche Ostasienpolitik ernste Bedenken vorgetragen. Churchill weiß nur zu gut, daß sich England einen dritten gewonnenen Weltkrieg nicht leisten kann und daß es einer langen Zeit der Ruhe und Erholung bedarf, ehe es auf solche weitgespannten Ziele antreten kann, wie die Vereinigten Staaten sie verfolgen. Das sollte uns zu denken geben, die wir, zumal als zweigeteiltes Volk, wahrlich noch weniger als England berufen sind, schon wieder in großer Weltpolitik zu machen. Mit einer trügerischen Vorstellung von "Gleichberechtigung" ist hier gar nichts getan. Wenn schon England und Frankreich erleben müssen, daß sie in den Entscheidungen der neuen Regierung Eisenhower keine Mitsprache haben, so sollte man vollends in der Bundesrepublik nicht meinen, daß wir auf Grund eines Wehrbeitrages von 12 Divisionen einmal etwas zu sagen haben werden. Am Risiko aus der amerikanischen Politik werden wir freilich in vollem Maße und in vorderster Linie beteiligt sein, nicht aber an der Gestaltung der Dinge. Obwohl Churchill sofort nach seiner Ankunft in Amerika Anfang Januar die englischen Bedenken gegen die neue amerikanische Ostasienpolitik sogar öffentlich vortrug, ist Eisenhower ohne weiteres darüber hinweggegangen. Der stärkste Partner stellte seine Verbündeten einfach vor eine vollendete Tatsache und hindert sie, sich dagegen aufzulehnen. Ein solches Vorgehen - so schreibt der französische Rechtsgelehrte Maurice Duverger in einem beachtlichen Artikel "Bündnis oder Protektorat?" am 6. Februar in "Le Monde" - entspricht "ganz genau dem Begriff 'Protektorat', wo ja die Außenpolitik ausschließlich nach dem Willen des Protektors betrieben wird". [] Zu beziehen durch: Gesamtdeutsche Volkspartei, Essen, An der Reichsbank 14. [] Druck: A. Bagel, Düsseldorf
Published:02.1953 - 05.1953