Briefe an bekannte "Friedensbrandstifter" . Arnold Zweig

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; BRIEFE AN BEKANNTE "FRIEDENSBRANDSTIFTER" [] Arnold Zweig [] [] Herrn Arnold Zweig [] Vizepräsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [] Berlin [] Berlin, im Oktober 1951 [] [] Herr Zweig! [] In einem sei...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Verlag Der Augenzeuge
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1951
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/755192E4-D70D-45C3-A182-90DE3C21A327
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; BRIEFE AN BEKANNTE "FRIEDENSBRANDSTIFTER" [] Arnold Zweig [] [] Herrn Arnold Zweig [] Vizepräsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands [] Berlin [] Berlin, im Oktober 1951 [] [] Herr Zweig! [] In einem seiner Bücher beschäftigt sich Ihr Namensvetter Stefan Zweig mit der Geisteshaltung eines großen Teiles der deutschen Bevölkerung während des Krieges: "Das Erschütternde an diesem Wahnsinn aber war, daß die meisten Menschen ehrlich waren." Der wahre, bedingungslose Freund des Friedens, Stefan Zweig dachte bei diesen Worten an die Kriegsbegeisterten des Ersten Weltkrieges. Die Bekanntschaft mit den kriegerischen Friedensschwärmern eines dritten Weltkrieges ist ihm glücklicherweise erspart geblieben. Obwohl das Prädikat "ehrlich" den meisten führenden "Friedensstreitern", mit denen Sie gemeinsam im "Friedensschützengraben" Stalins Stellung bezogen haben, abzusprechen ist, erschüttert die Tatsache, daß sich Schriftsteller von einiger Bedeutung, wie z. B. Sie es sind, vor Stalins Friedenspanzer spannen lassen. [] Daß Sie während des Krieges von Ihrem palästinensischen Exil aus Ihre Sympathien für die Sowjetunion immer wieder zum Ausdruck brachten, ist zwar eine Frage des Geschmacks, aber immerhin doch irgendwie erklärlich. Denn aus der Ferne sieht man die Dinge manchmal etwas verklärt, und man ist nur zu gern bereit, die vorhandenen blutigen Konturen zu übersehen. Nur sehr schwer verständlich erscheint es hingegen, daß Sie der in der Sowjetunion herrschende Antisemitismus nicht davon abhielt, sich in die "Friedensfront" Stalins einzureihen. Es entbehrt jeder Logik, daß Sie - anscheinend vor dem überschäumenden Nationalismus des jungen israelischen Staates - zu dem sowjetischen Nationalismus flüchteten. Daß Sie persönlich gegenwärtig nicht in Moskau, sondern in Berlin leben, ändert daran im Prinzip nichts, denn die sogenannte Deutsche Demokratische Republik liegt ja wie alle anderen Staaten von Stalins Gnaden im Machtbereich des Kremls. [] Vielleicht ist es von einem gefühlsmäßig empfindenden und handelnden Schriftsteller zuviel verlangt, daß er jederzeit die politischen Zusammenhänge erkennt und den Mut aufbringt, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, wie dies etwa Theodor Plievier tat. Doch hätten Ihnen, Herr Zweig, zweifellos die in der Sowjetunion durchgeführten antisemitischen Maßnahmen zu denken geben müssen. Gewiß, diese wurden von Stalin in keinem "Mein Kampf" festgelegt, aber um so schlimmer ist es, daß Sie von einem System zur Irreführung der Massen verwendet werden, das seinerzeit unter ganz anderen Parolen siegte. Der sowjetische Antisemitismus wird unter der Flagge des Kampfes gegen den "Kosmopolitismus" geführt. Das alles geschieht, obwohl der Rat der Volkskommissare am 27. Juni 1918 feierlich erklärt hatte, [] "daß die antisemitische Bewegung und die Judenprogrome eine Schande für die Sache der Revolution der Arbeiter und Bauern sind". [] Vielleicht prüfen Sie die folgenden Angaben einmal auf ihre Richtigkeit - wir haben das bereits getan -: [] Im November 1948 wurde auf Befehl der Sowjetregierung die "Jiddische Verlagsanstalt" geschlossen und das in diesem Verlag erscheinende Blatt "Einigkeit" verboten. [] Das jüdische autonome Gebiet von Birobidschan geht praktisch seiner Liquidation entgegen, obwohl es bis Anfang der dreißiger Jahre noch zu den bolschewistischen Propagandaschlagern gehörte. [] In den letzten Monaten wurden die jüdischen Schriftsteller Pfeffer, Markisch, Mistor, Halkin, Broderson und Bergelson im Zuge der Kampagne gegen die "heimatlosen Kosmopoliten" verhaftet. [] Am 17. Februar 1949 erklärte der Sekretär der Kommunistischen Partei Weißrußlands: "In der weißrussischen Republik gibt es nur ein Theater, ein jüdisches, das unpatriotische Stücke auf den Spielplan setzt, in denen das Leben in Amerika verherrlicht wird." Wer die fürchterlichen Spielregeln der bolschewistischen Diktatur kennt, kann ermessen, welch katastrophale Folgen diese offiziöse Auslassung für die Betroffenen nach sich zog. [] Der von den Sowjets geförderte Antisemitismus fand auch bei der Neukonstituierung verschiedener Körperschaften seinen Ausdruck. So befand sich beispielsweise bei den im März 1940 in den annektierten Teilen Ostpolens durchgeführten Wahlen unter den 43 zum Bundessowjet und den 12 zum Nationalitätensowjet gewählten Kandidaten kein einziger Jude, obwohl die Wahlen in Gebieten stattgefunden hatten, in denen der jüdische Bevölkerungsanteil verhältnismäßig groß ist. Selbst in dem 160köpfigen örtlichen Sowjet Lembergs waren nur zwei Juden vertreten. [] Als der Beginn einer neuen antisemitischen Welle in der Sowjetunion sind die Säuberungen von 1936 bis 1938 zu bezeichnen. Damals richtete sich der Angriff gegen jene Teile der alten Generation aktiver Kommunisten, die die internationale Tradition der Partei verkörperten, Der Internationalismus, den diese "Oppositionsquellen" vertraten, wurde als "Tarnung von Verrätern und Spionen im Dienste der auswärtigen Spionage" gebrandmarkt. Nationalistische Strömungen, die früher als "Großmacht-Chauvinismus" verpönt waren, erschienen nun gerechtfertigt. Ein primitiver russischer Nationalismus verbreitete sich rasch und erfaßte auch die kommunistische Partei und die sowjetische Oberschicht. Da die hervorragendsten und bekanntesten Angeklagten in den Moskauer Prozessen - Trotzki, Sinowjew, Kamenew und Radek - Juden waren, verband sich der Makel des "Vaterlandsverrates" mit den Namen jüdischer Kommunisten. Im Gefolge dieser großen Säuberung wurde ferner, wenn auch mit viel weniger Lärm, eine ganze Generation jüdischer Führer liquidiert, die speziell in jüdischen Fragen tätig waren, unter ihnen befanden sich Dimanschtein, der frühere Kommissar für jüdische Angelegenheiten; Liberger, der Vorsitzende des Exekutivkomitees des Gebietssowjets von Birobidschan, und Chawkin, der Sekretär des Birobidschaner Gebietskomitees der KPdSU. Auch die früheren Führer des "Bundes jüdischer Arbeiter", der Anfang der zwanziger Jahre in die Partei eingetreten war, Rachmiel, Wainschtein, Frumkin, Tscheremiskij, Mereschin, Petrowskij und Dutzende andere fielen der Säuberungswelle zum Opfer. [] Zu diesem Problem wollen wir Ihnen, Herr Zweig, abschließend den Inhalt einer Resolution, die vom jüdischen Arbeitsausschuß in den USA, dem die meisten großen jüdischen Organisationen angehören, nicht vorenthalten: [] "Die Sowjetregierung merzt systematisch alle Spuren eines kulturellen Eigenlebens der Juden aus. In der Sowjetunion gibt es nur noch spärliche Reste kulturellen und geistigen Lebens der Juden. In den anderen Ländern unter sowjetischem Einfluß geht die Entwicklung schnell in die gleiche Richtung." [] Es ist kaum anzunehmen, daß Ihnen diese und viele ähnliche Vorkommnisse in der Sowjetunion sowie die anläßlich des Kongresses für kulturelle Freiheit im vergangenen Jahr in Berlin gehaltenen Ansprachen unbekannt geblieben sind. Die dort von echten Friedensfreunden gesprochenen Worte hätten Ihnen zu denken geben müssen, wenn - Sie sich nicht schon mit Copyright und der Annahme von Ehrenämtern bedingungslos dem Bösen verschrieben hätten. Da das Böse Ihnen bekannt ist, gehören Sie zu jenen, die wissen, was sie tun. Sie gehören zu jenen, die auf Verlangen ihrer Hintermänner bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit SED-Gespräche fordern, die tarnungshalber als "gesamtdeutsche Gespräche" bezeichnet werden. Mit Recht wendet sich Theodor Plievier gegen dieses Bedürfnis nach Konversation mit dem Westen. Als Ihr "Friedensmitkämpfer" Johannes R. Becher, von Leuten, die an der "Infektionskrankheit" des "Neutralismus" leiden, in den Vorstand des deutschen PEN-Klubs gewählt wurde, schrieb Plievier an die Adresse dieser "Neutralitiker" folgende Worte: [] "Was könnten seine Wähler und jene, die diese Wahl schweigend hinnahmen, denn für ihr Tun und auch für ihr Nichttun in Anspruch nehmen? Es geschah 'um des guten deutschen Gespräches willen; es geschah um der Erhaltung des Friedens willen; es geschah auch wegen der wiederherzustellenden deutschen Einheit', ist uns gesagt worden. Aber ein Gespräch zwischen Personen auf der einen Seite und Beauftragten mit gebundenem Mandat auf der anderen Seite ist weder ein 'deutsches' noch ein 'gutes' Gespräch, ist überhaupt kein Gespräch möglich, und alles, was dabei herauskommen kann, ist ein böser und absichtsvoller Monolog, und zwar von jener Seite, die genau weiß, was sie tut. [] Was den Frieden anbelangt, so ist in einer Welt, in der immer häufiger und unverhohlener von der Unvermeidbarkeit eines dritten Weltkrieges geredet wird, jede echte Friedensbemühung von gesteigertem Wert, und keine Möglichkeit dazu ist auszulassen, doch mit den Abgesandten einer Macht, die eine Kettenreaktion von Aggressionen auslöste, deren Ende noch nicht abzusehen ist, und die einzig und allein den Auftrag haben, das Feld für die nächste Aggression zu sondieren und vorzubereiten, über den Frieden zu reden, kann niemals zum Frieden führen, und bedeutet nichts anderes, als die morbide Stelle aufzuzeigen, in die hineingestochen werden kann. So dienen solche Gespräche keiner denkbaren Einheit - es wären denn Einheitsgedanken und einheitliche Sklaverei für beide Deutschlandhälften; solche Gespräche sind einzig und allein imstande, der beabsichtigten Aggression zu dienen, doch solche Dienstleistungen können weder vom deutschen noch vom internationalen PEN-Klub beabsichtigt sein. [] Und das allen Gemeinsame kann doch wohl nur der gleiche geistige Ursprung sein und das gleiche angestrengte Bestreben, dem Menschen den Platz finden zu helfen. Können die Teilhaber an solchen großen Traditionen schweigen in einer Zeit, in der ein unter dem Todesurteil stehender achtzehnjähriger Schüler ausruft: 'Ich liebe die Freiheit mehr als mein Leben!' Können sie schweigen, wenn mit der Verschleppung des Freiheitskämpfers Alfred Weiland aus Berlin allein an westberliner Journalisten der 24. Fall an Menschenraub erreicht wurde? Und ist es denkbar, daß sie eine Marionette aus dem Kreis der Menschenräuber zu ihrem Präsidenten erheben? Es bedarf in der Frage der großen Menschheitsbedrohung heute nicht mehr der weiten Voraussicht, wie sie noch vor zwanzig oder dreißig Jahren vonnöten war; nach André Gide, nach Ignazio Silone, nach Arthur Koestler, um nur einige Namen aus der großen Schar der Mahner zu nennen, vor allem aber angesichts der brutalen Wirklichkeit, bedarf es keiner besonderen politischen Hellsicht mehr, und die Haltung eines Émile Zola ist noch immer eine Forderung für den Schriftsteller geblieben. Jenes beispielhafte 'J'accuse!' aber umzukehren und statt des persönlichen Einsatzes für Menschenwürde und Menschenrechte ein Flüstergespräch mit dem Verächter der Menschenwürde und dem Kerkermeister des geschändeten Menschen aufzunehmen - das allerdings wäre schon Untergang des Abendlandes und beginnende Steppe. [] Der Mensch ist bedroht! Das ist vielleicht die allgemeinste Erkenntnis der letzten fünfzig Jahre. Auch über die Art der Bedrohung herrscht völlige Klarheit. Und der Schriftsteller müßte nicht aus dem Geistigen kommen, um die Bedrohung nicht in der Gottverlassenheit des Menschen, in seiner wachsenden Beziehungslosigkeit und dem rapiden Verfall seiner gesellschaftlichen Tugenden erkannt zu haben; und was die politische Seite des Problems anbelangt, so dürfte über jeden Zweifel erhaben sein, daß der autoritäre Staat und gesteigert der totale Staat sich als die kontakteste Bedrohung des Menschen erwies. [] Der Mensch ist bedroht - der Schriftsteller ebenso wie alle anderen, doch in ihm sollte die tiefe geistige Angst sich überwinden und die Bedrohung sich verdichten zum befreienden Wort. Nur so kann er seiner Aufgabe gerecht werden und dem Menschen helfen, seinen Platz zu finden im Widereinander der streitenden Gewalten. Wenn er aber versagt ... 'Wenn das Salz dumm wird, womit soll man's salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn daß man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten.' Dieses Wort ist heraufzubeschwören, denn es umreißt die eine Möglichkeit, die in bleicher Angst und im Bestreben nach ungeistigen Sicherungen, im Defaitismus, Kapitulantentum und Neutralismus sich vor dem deutschen Schriftsteller auftut; die andere Möglichkeit ist aber ebenfalls offen, und möge dieser andere und einzig begehbare Weg - der des Gewissens - beschritten werden." [] Diese eindrucksvollen Worte wurden nicht für Sie geschrieben, Herr Zweig, aber sie gelten sicherlich auch Ihnen. Es sind die gleichen Worte, die etwa der junge Zweig dem alten Zweig zurufen müßte. [] In Ihrem 1928 veröffentlichten großen Kriegsroman "Der Streit um den Sergeanten Grischa" bemühen Sie sich auf vierhundert Seiten, dem Leser in eindringlicher Weise das grausame Schicksal des russischen Kriegsgefangenen Grischa Iljitsch Paprotkin in deutscher Kriegsgefangenschaft darzustellen. Jeder wirkliche Freund des Friedens kann den Inhalt dieses vor zwanzig Jahren erschienenen Buches auch heute noch Zeile für Zeile unterschreiben, Ihnen, dem Autor und "Weltfriedenskämpfer", wird dies jedoch kaum noch möglich sein. Gestatten Sie uns, Ihnen ein kleines mathematisches Rätsel aufzugeben. Über das Leben und Sterben eines Menschen schrieben Sie vierhundert Seiten, was sicherlich nicht zuviel war, wieviel Seiten müßten Sie über die Leiden und das Sterben von 20 Millionen Grischas aller Nationen schreiben, die sich in sowjetischen Gefangenenlagern befinden? Vielleicht würde die Vollendung dieses Standardwerkes eines der blutigsten und grausamsten Kapitel der Weltgeschichte Ihre Kräfte übersteigen; - doch leider übersteigt es Ihre Kräfte nicht, Grischa Iljitsch Paprotkin schmählichst zu verraten. Jawohl, Herr Zweig, mit jeder Sitzung, an der Sie als literarisches Aushängeschild der Häscher und Verfolger von Millionen Grischas teilnehmen, verraten Sie Ihren Grischa von 1928. Mit jeder Unterschrift, die Sie unter die lügenhaften, lediglich den sowjetischen Kriegsvorbereitungen dienenden Friedensappelle setzen, verraten Sie die Grischas unserer Zeit. [] Wie denkt der junge Zweig im übrigen darüber, daß sich der alte mit erklärten Antisemiten, HJ-Bannführern und Generalen an einem Tisch zusammenfindet, um Stalins "Frieden" zu propagieren? [] Die nächste Zukunft wird ergeben, ob es dem alten Zweig gelungen ist, den jungen mit Hilfe von Ämtern und gutdotierten Stellungen endgültig zum Schweigen zu bringen, oder ob er nicht eines Tages rückfällig wird und sich "kosmopolitischer Umtriebe" schuldig macht. [] "Der Augenzeuge"
Published:1951