Verehrte Wählerin! Verehrter Wähler!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Verehrte Wählerin! Verehrter Wähler! [] Am 6. September gehen Millionen deutscher Männer und Frauen zur Wahlurne, um das politische Gesicht des zweiten Deutschen Bundestages zu bestimmen. [] Durch einstimmigen Beschluß meiner Parteiorganisati...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Bleiß, Paul, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Presse-Druck GmbH, Bielefeld
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/9E318918-C1C1-4F12-B08B-F16274D23F2A
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Verehrte Wählerin! Verehrter Wähler! [] Am 6. September gehen Millionen deutscher Männer und Frauen zur Wahlurne, um das politische Gesicht des zweiten Deutschen Bundestages zu bestimmen. [] Durch einstimmigen Beschluß meiner Parteiorganisation bin ich für den Wahlkreis Minden-Lübbecke erneut als Kandidat aufgestellt worden. In den vergangenen vier Jahren habe ich mich stets bemüht, die Interessen meines Wahlkreises so gut wie irgend möglich zu vertreten. In mehr als 100 Versammlungen habe ich vor aller Öffentlichkeit Rechenschaft über meine parlamentarische Arbeit abgelegt. [] In meinen wöchentlich abgehaltenen Sprechstunden sind mehr als 1600 Besucher erschienen. Vielen von ihnen konnte durch Rat und Tat geholfen werden. [] Mein Lebensweg war folgender: Geboren 1904, Banklehre, Werkstudent, Doktor der Staatswissenschaften, Betriebsleiter, Sozialpolitiker, der vor Jahren durch seinen Kampf gegen die Unterdrückungsmethoden des Ostens seine Heimat verlassen mußte. Mitglied des Wirtschaftsrates, Mitglied des ersten Deutschen Bundestages. [] Seit über dreißig Jahren stehe ich im Berufsleben und habe mich aus kleinsten Anfängen zu leitenden Industrie- und Verwaltungsstellen emporgearbeitet. Im Zuge dieser Entwicklung habe ich die Wirtschaft in ihren verschiedensten Funktionen und Entwicklungsstufen kennengelernt und bin nach reiflichen Überlegungen zu der Erkenntnis gekommen, daß nur durch die Schaffung einer echten Wirtschaftsdemokratie der friedliche Aufbau und der soziale Fortschritt gesichert erscheinen. [] Auf Grund der gesammelten Erfahrungen lehne ich - in völliger Übereinstimmung mit den Grundsätzen meiner Partei - die Zwangswirtschaft ab. In den Kabinetten, in denen zwangswirtschaftliche Maßnahmen beschlossen wurden, waren Sozialdemokraten nicht vertreten. Ich bekenne mich zur echten Marktwirtschaft, kämpfe gegen das Preisdiktat der noch wirksamen 2000 Kartelle und werde mich stets für eine Förderung des Mittelstandes, insbesondere des Handwerks, einsetzen. [] Nur dort, wo Stockungen im Wirtschaftsleben sich zeigen oder zu erwarten sind, soll der Staat lenkend und steuernd eingreifen, um Katastrophen zu verhindern und Krisen zu mildern. Das hat die Bundesregierung nicht getan. Der Kapitalmarkt ist völlig zerrüttet. Die Industrie finanziert sich selbst. Sie fordert auf vielen Gebieten unserer Bedarfsdeckung Überpreise und verwendet die erzielten Gewinne - unter Ausnutzung vieler Steuervergünstigungen - zum Ausbau der Anlagen. Dadurch wurde der gesamte Neuzuwachs an Sachvermögen einem kleinen Personenkreis zugeführt. [] Das wollen wir ändern. Die SPD fordert seit Jahren eine gründliche Reform des Steuersystems und eine Reorganisation des Kapitalmarktes, damit auch die Millionenzahl der Werktätigen am Sachvermögen beteiligt wird und Kredite für volkswirtschaftlich vordringliche Aufgaben bereitgestellt werden können. [] Lassen Sie sich nicht durch die Propaganda der Bundesregierung täuschen. Es ist objektiv unwahr, wenn man behauptet, daß durch die "soziale Marktwirtschaft" sich unser Lebensstandard erhöht habe. [] Tatsache ist, daß die eingetretene Besserung durch die Marshall-Hilfe bewirkt, die Steigerung der Exporte durch den Korea-Krieg ausgelöst wurde. [] Die Marshall-Gelder wurden nicht geschenkt. Durch das Londoner Schuldenabkommen haben wir Verpflichtungen in Höhe von 16 Milliarden DM anerkennen müssen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung auf unser gesamtes Auslandsvermögen - ohne Gegenleistung - verzichtet. [] Diese Politik der Vorleistungen birgt schwere wirtschaftliche Gefahren in sich. Heute schon werden die Belastungen aus dem Schumanplan auf 120 Millionen DM jährlich geschätzt, Stahlindustrie und Kohleverwaltung sind stark gefährdet. [] Die wirtschaftlichen Nachteile werden ins Unermeßliche steigen, falls der General- und EVG-Vertrag endgültig ratifiziert werden sollten. Eine stark forcierte Rüstungswirtschaft muß sich zuungunsten der Verbraucher auswirken. [] Der von der Bundesregierung angebotene Verteidigungsbeitrag übersteigt unser finanzielles und wirtschaftliches Leistungsvermögen. Bleibt er in der bisherigen Höhe bestehen, dann ist entweder mit einer verschärften Sozialpolitik oder mit einer latenten Inflation zu rechnen. Heute schon weist unser Haushalt einen Fehlbetrag von 3 Milliarden DM aus. [] Ich werde mich im kommenden Bundestag für ein Alter ohne Not, für eine echte Wirtschaftsdemokratie, für eine Koordinierung unseres zerrütteten Verkehrswesens, für ein sozial gerechtes Steuersystem, für die Beseitigung der strukturellen Arbeitslosigkeit unter Förderung der mittelständischen Wirtschaft und für eine Wiedervereinigung in Freiheit einsetzen. [] Das ist in großen Zügen meine politische Linie, die ich schon in den vergangenen vier Jahren konsequent verfolgt habe. [] Der 6. September ist ein Tag von schicksalhafter Bedeutung. Entscheiden Sie sich richtig. Schieben Sie bitte den Schleier einer gut getarnten Regierungspropaganda beiseite, dann werden Sie erkennen, daß die Bundesregierung den Weg der Reaktion mit allen Konsequenzen gegangen ist. Der Kurs ist falsch und gefährlich. Er muß sich ändern. Wenn Sie mir am Wahltag Ihr Vertrauen schenken, schaffen Sie damit die Voraussetzung für eine sozial--fortschrittliche Arbeit. [] Mit vorzüglicher Hochachtung [] Dr. Paul Bleiß [] Kandidat der SPD im Wahlkreis Minden-Lübbecke [] So wählen Sie richtig! [] Erststimme für die Wahl des Wahlkreisabgeordneten [] Zweitstimme für die Wahl nach Landeslisten [] Presse-Druck GmbH., Bielefeld [] Postwurfsendung [] All alle Haushaltungen
Published:06.09.1953