Wählerinnen und Wähler der Stadt Bochum!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bochum, August 1953 [] DR. HEINRICH DEIST [] Wählerinnen und Wähler [] der Stadt Bochum! [] Die Sozialdemokratische Partei der Stadt Bochum hat mich als ihren Kandidaten für die Wahlen zum Bundestag am 6. September 1953 aufgestellt. Ich über...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), westliches Westfalen, Westfalendruck, Dortmund
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/65BD73CE-853B-45F9-B372-E8F3561C6BA2
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bochum, August 1953 [] DR. HEINRICH DEIST [] Wählerinnen und Wähler [] der Stadt Bochum! [] Die Sozialdemokratische Partei der Stadt Bochum hat mich als ihren Kandidaten für die Wahlen zum Bundestag am 6. September 1953 aufgestellt. Ich übernehme damit die Kandidatur in einem Wahlkreis, der bisher durch den ersten Vorsitzenden der SPD, Erich Ollenhauer, vertreten war. Diese Tatsache ist für mich eine Anerkennung, zugleich aber auch eine Verpflichtung. [] Zu meiner Person darf ich folgendes bemerken: Ich wurde im Jahre 1902 als Sohn eines Schriftsetzers geboren, bin also 50 Jahre alt. Ich habe zunächst Jura studiert und war in der preußischen Verwaltung, zuletzt als Mitarbeiter des unvergeßlichen Karl Severing, in Berlin tätig. Im Jahre 1933 wurde ich aus dem Staatsdienst entlassen, und seit dieser Zeit gehört meine Arbeit der Wirtschaft. In großem Umfange war ich für den Kohlenbergbau und die Eisen- und Stahlindustrie tätig. Seit dem Jahre 1949 bin ich Mitglied der Stahltreuhändervereinigung, der die Aufgabe gestellt wurde, die deutsche Eisen- und Stahlindustrie, die durch Krieg und Demontagen in ihren Grundlagen erschüttert war und nach alliiertem Gesetz entflochten werden mußte, neu zu ordnen und dabei ausreichende Grundlagen für eine fruchtbare Weiterentwicklung zu legen. [] Bochum ist eine Stadt der Wirtschaft, und zwar insbesondere eine Industriestadt. Von rund 120000 Beschäftigten arbeiten mehr als die Hälfte im Steinkohlenbergbau und in der Eisen- und Metallindustrie. Die sozialen Verhältnisse der Stadt und ihrer Einwohner werden daher unmittelbar durch den Stand der deutschen Wirtschaft und damit durch die deutsche Wirtschaftspolitik bestimmt. In der Vergangenheit konnte die Bundesregierung ohne größere Gefahr auf eine konstruktive Wirtschaftspolitik verzichten, weil unser wirtschaftliches Schicksal weitgehend durch ausländische Einflüsse bestimmt war, der Wiederaufbau zum Teil mit amerikanischen Mitteln erfolgte und die deutsche Wirtschaft durch den allgemeinen Anstieg der gesamten Weltwirtschaft mitgetragen wurde. Die Entwicklung der letzten Monate, die insbesondere der Eisen- und Stahlindustrie Rückschläge brachte, hat jedoch deutlich gezeigt, daß auf die Dauer auf ein konstruktives Wirtschaftsprogramm nicht verzichtet werden kann. [] Den Problemen, die uns die wirtschaftliche Entwicklung in der Zukunft stellen wird, werden wir weder mit dem Schlagwort der sozialen Marktwirtschaft noch mit anderen Schlagwörtern - etwa dem der Planwirtschaft - gerecht werden. Die deutsche Wirtschaftspolitik muß in Zukunft mehr denn je beachten, daß die deutsche Wirtschaft außerordentlich vielgestaltig ist. In vielen Betrieben, insbesondere in Handel, Handwerk und Mittelindustrie, hat das private Eigentum seine Daseinsberechtigung erwiesen und damit Anspruch auf den Schutz des Staates. Es gibt aber zahlreiche große Unternehmungen, die eine solche wirtschaftliche Machtposition, zuweilen sogar eine Monopolstellung innehaben, daß sie im Interesse der Allgemeinheit einer straffen öffentlichen Kontrolle unterworfen werden müssen. Die amtliche deutsche Wirtschaftspolitik muß aber auch zur Kenntnis nehmen, daß es bei den Großunternehmungen der Grundstoffindustrie überhaupt kein eigentliches privates Eigentum mehr gibt, daß von dem Schicksal jeder dieser Unternehmungen Zehntausende von Arbeitnehmern abhängig sind und daß die Grundstoffindustrien von entscheidender Bedeutung für die Gesamtwirtschaft und damit für das Wohl des gesamten Volkes sind. Für diese Unternehmungen - und nur für sie - verlangt die SPD eine gemeinwirtschaftliche Regelung. Damit ist die SPD die einzige deutsche Partei, die der Vielgestaltigkeit der deutschen Wirtschaft genügend Rechnung trägt und es deshalb ablehnt, das gesamte wirtschaftliche Leben unter ein Schema zu pressen. [] Die Stadt Bochum hat etwa 315000 Einwohner. Mehr als 50 Prozent sind evangelisch, nahezu 40 Prozent sind katholisch. Die Stadt Bochum trägt daher ebenso wie das gesamte Deutschland an dem Schicksal, daß unser Volk seit den Religionskriegen des Mittelalters in mehrere Konfessionen aufgespalten ist. Wir sollten die Lösung unserer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht noch dadurch erschweren, daß wir die konfessionellen Unterschiede zum Gegenstand des politischen Streites machen. Das deutsche Schicksal ist nur zu meistern, wenn wir auf kulturellem Gebiet, insbesondere aber auf religiösem Gebiet tolerant sind und jedem seinen Glauben und die Möglichkeit, diesem Glauben gemäß zu leben, belassen. Unser ganzes gesellschaftliches Leben muß von diesem Gedanken der Toleranz beherrscht werden. [] Bochum beherbergt in seinen Mauern rund 33000 Flüchtlinge. Das sind mehr als 10 Prozent seiner Bevölkerung. Diese Tatsache mahnt uns immer wieder daran, daß das deutsche Volk durch den eisernen Vorhang in zwei Teile zerspalten ist. Das politische Schicksal Deutschlands und Europas hängt davon ab, daß diese schwärende Wunde beseitigt wird. Der Aufstand der Arbeiter in Ostberlin und der übrigen Ostzone am 17. Juni 1953 hat uns erneut zum Bewußtsein gebracht, wie stark der Wille der Ostzonenbevölkerung zur Freiheit und zur Wiedervereinigung mit Westdeutschland ist. Diese Entwicklung verlangt eine gesteigerte Aktivität der Bundesregierung. Es muß die zentrale Aufgabe der deutschen Außenpolitik sein, das deutsche Volk wieder in Einheit und Freiheit zu vereinigen. [] Wenn Sie diese Auffassungen mit mir teilen, dann geben Sie mir Ihre Stimme. Wenn die Bevölkerung der Stadt Bochum mich als ihren Abgeordneten in den Bundestag entsendet, werde ich alle meine Kräfte für eine gesunde Entwicklung von Volk und Staat und damit auch für das Wohl der Stadt Bochum einsetzen. [] Dr. Heinrich Deist [] Kandidat der SPD [] Herausgeber: SPD, Westliches Westfalen [] Druck: Westfalendruck, Dortmund
Published:06.09.1953