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13 Punkte ZUM SCHUMANPLAN [] [] Der international anerkannte Nationalökonom Prof. Dr. Hans Ritschl von der Universität Hamburg hat dem Hamburger Senat ein Gutachten über die "Volkswirtschaftliche Bedeutung des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" vom 18. April 1951 (Schumanplan) erstattet. [] [] Prof. Dr. Hans Ritschl faßt seine Meinung über den Schumanplan am Schlusse seines Gutachtens in folgende 13 Punkte zusammen: [] [] 1 [] Der Schumanplan, ausgehandelt und auch in seiner ungünstigen endgültigen Fassung vertreten von einer Regierung, die sich neoliberalen Wirtschaftsprinzipien verschrieben hat, tritt die wirtschaftspolitische Souveränität über Bergbau und Schwerindustrie an eine überstaatliche Behörde ab, die rein marktwirtschaftliche Prinzipien zu befolgen hat. Mit ihr verzichten die Mitgliedstaaten auf eine wirksame Vollbeschäftigungspolitik. [] [] 2 [] Die Hohe Behörde hat in ihren Maßnahmen im wesentlichen den Marktschwankungen zu folgen, sie hat keine ausreichenden Mittel, diese Schwankungen, die in normalen Zeiten in Konjunkturzyklen ablaufen müssen, zu beherrschen und auszuschließen. [] [] 3 [] Für den Fall des Auftretens tiefgreifender Störungen ist die Revisionsklausel des Artikels 95 unzureichend, da die Grundprinzipien der Artikel 2, 3 und 4 als unumstößlich gelten. Die Dauer des Vertrages ist auf fünfzig Jahre vorgesehen, eine Kündigung ist nicht zulässig. [] [] 4 [] Das Prinzip, eine europäische Vereinigung auf dem Wege der Errichtung unitarischer Teilmärkte anzustreben, erweist sich als sehr fragwürdig und enthält die Gefahr, nationalistische Widerstände zu erwecken. [] [] 5 [] Die Aufhebung der Ruhrbehörde und der Beschränkungen für die deutsche Produktion, vor allem der Stahlquote, ist bisher nur von deutschen Regierungsvertretern verheißen worden. Im Vertragswerk ist sie nicht verbrieft. [] [] 6 [] Deutschland würde mit schweren materiellen Benachteiligungen in die Gemeinschaft für Kohle und Stahl eintreten. Deutschland ist der Wiederaufbau und die Modernisierung seines Bergbaus und seiner Stahlindustrie im wesentlichen durch die Politik der Besatzungsmächte bisher unmöglich gemacht worden. Durch Produktionsbeschränkungen, hohe Ausfuhrauflagen und vor allem durch Demontagen ist die deutsche Montanwirtschaft schwer geschädigt und in Rückstand gebracht worden gegenüber ihren Konkurrenten. Sie ist vorbelastet mit einem riesigen Nachholbedarf. [] [] 7 [] Die Aufhebung des gemeinsamen Kohlenverkaufs, der unter das Kartellverbot des Artikels 65 fällt, unterstellt den Kohlenbergbau dem hier unzureichenden Prinzip freier Konkurrenz, verteuert den Kohlenvertrieb, führt zu unwirtschaftlichen Transporten, enthält die Gefahren ruinöser Konkurrenz, führt zum Raubbau. Die in § 12 der Übergangsbestimmungen vorgesehene Überprüfung der hiermit entstehenden Gefahren stellt keine wirksamen Abhilfen in zuverlässige Aussicht. [] [] 8 [] Die gleichzeitig mit dem Schumanplan von den Besatzungsmächten dekretierte Entflechtung und dem Schumanplan zugrunde gelegte praktische Aufhebung der Verbundwirtschaft von Eisenhüttenwerken und Kohlenzechen benachteiligt die deutsche Stahlindustrie und stellt eine Diskriminierung dar gegenüber der weiterhin zugelassenen Verbundwirtschaft zwischen Erzgrube und Hüttenwerk in Lothringen. [] [] 9 [] Die Aufhebung der Verbundwirtschaft in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung schwächt die Standortsgewichtigkeit der Erzverhüttung an der Ruhr vornehmlich für Thomasstahl [] [] 10 [] Der Schumanplan sichert Frankreich den Bezug von Ruhrkohle und Ruhrkoks, er enthält keine Gewähr für den Bezug lothringischer Erze für die Hüttenwerke an der Ruhr. [] [] 10a [] Das Verbot diskriminierender Transporttarife stellt eine Durchbrechung der Tarifhoheit der Staaten dar und beraubt sie eines wichtigen Mittels, vorhandene Standorte zu sichern. [] [] 11 [] Der nach dem Schumanplan zu erwartende Ausbau des deutschen Kohlenbergbaus wird vorbelastet mit einer Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen vor allem an Belgien, die auf 60 bis 80 Millionen im Jahre geschätzt werden und später von Jahr zu Jahr um ein Fünftel sinken sollen. [] [] 12 [] Die Vorteile des großen Marktes, die in einer Zollunion wirksam werden, treten auf einem Teilmarkte weit weniger in Erscheinung. Sie sind nicht ausreichend, um eine merkliche Hebung des Lebensstandards hervorzurufen. [] [] 13 [] Der Schumanplan wird eine Sozialisierung der Schwerindustrie und des Bergbaus in Westdeutschland erschweren und ist geeignet, ihre planwirtschaftliche Auswertung zu verhindern. [] [] Das Gutachten schließt mit der Bemerkung: [] In der Tat ist die Bindung, die Deutschland eingehen würde, für einen Zeitraum von nicht weniger als fünf Jahrzehnten in einer Marktordnung, deren wirtschaftliche Auswirkungen noch nicht voll zu übersehen sind, die schwerste Fessel des Vertragswerkes und eine unverantwortbare Preisgabe der Handlungsfreiheit Deutschlands. [] [] Dieses Gutachten eines parteipolitisch unabhängigen Wissenschaftlers ist eine Verurteilung der Adenauer-Politik. Es bestätigt die Richtigkeit des sozialdemokratischen Standpunktes zum Schumanplan. Darum: [] [] Fort mit der Regierung Adenauer! [] Helft uns eine bessere Bundesregierung schaffen! [] [] Wir versprechen keine Wunder ... [] Aber wir halten unser Wort. [] [] Vorstand der SPD, Bonn [] Druck: Neubrunnendruckerei GmbH., Mainz
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