Freiheit von Macht - Bindung durch die Idee

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Freiheit von Macht - [] Bindung durch die Idee [] Ein offenes Wort in eigener Sache [] Die neue deutsche Presse trägt neben den Erscheinungen der allgemeinen Wirtschaftsnot zwei schwere Gewichte an ihrer schmalen Papierration: die Vergangenhe...

Full description

Bibliographic Details
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1947 - 1948
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/98CE514A-7C6B-4B51-A774-DD3C15A53EC2
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Freiheit von Macht - [] Bindung durch die Idee [] Ein offenes Wort in eigener Sache [] Die neue deutsche Presse trägt neben den Erscheinungen der allgemeinen Wirtschaftsnot zwei schwere Gewichte an ihrer schmalen Papierration: die Vergangenheit hinterließ ihr als Erbe nazistischer Meinungsprostitution die Schwindsucht an Vertrauen in der Leserschaft, die Gegenwart hat ihr mit der beherrschenden Politik der Militärregierungen keinen Rahmen und kein Gesicht gegeben, die als geklärt und endgültig angesprochen werden können. [] In der Ostzone befinden sich die Zeitungen in einer Lage, die den Zuständen des Dritten Reiches zumindest im Grundsatz verwandt ist. Sie sind verlängerte Arme der Staats- und Besatzungsmacht mit allen sich daraus ergebenden Folgen. Die amerikanische Zone hat die "überparteiliche" Presse erhalten, und der heftige Kampf, der dort um diese Form entbrannt ist, beweist das Gegenteil einer idealen Lösung. Die englische Zone kennt neben dem sich zu keiner politischen Richtung bekennenden Einzelunternehmen, dessen politisches Klima je nach dem Verbreitungsgebiet oder der persönlichen Eigenart und Vergangenheit der Lizenzträger schwankt, die "parteinahen" Zeitungen, die sich aber von den Parteizeitungen vor dem Jahre 1933 in wesentlichen Merkmalen unterscheiden. [] Leser und Journalist treffen sich in einer Sorge und in einem Wunsch, die in der "Freiheit der Presse" gipfeln. Für den ersteren ist sie die Voraussetzung seines Vertrauens in das gedruckte Wort, für diesen der Prüfstein seines Gewissens und der Sauerstoff seiner Arbeit. Hier kann ein in der Leserschaft weit verbreiteter Irrtum richtiggestellt werden: Wir kennen in unserer Tätigkeit keine Vorzensur der Militärregierung. Der Presseoffizier sieht keine Zeile unserer Zeitung vor dem Druck und liest keinen Satz vor unseren sonstigen Freunden und Gegnern. Er prüft lediglich, ob wir die sogenannten Lizenzbedingungen beobachtet haben. [] Daß solche Bestimmungen auslegungsfähig sind, daß der Chefredakteur, je nachdem, wie man es ansieht, Orden oder Narben einstecken muß, daß die Meinungen der Beteiligten bei der Feststellung von Verstößen nicht immer übereinstimmen, liegt auf der Hand. Aber wir dürfen offen an diesem Geburtstag unserer Zeitung feststellen, daß derartige Fälle der Beanstandung selten waren, daß die jetzt geübte Form ritterlich ist, und daß die Militärregierung - in manchen deutschen Amtsstuben sieht es aus Tradition noch anders aus - bis heute alles vermieden hat, was den Anschein einer Maulkorbpolitik erwecken könnte. [] Viel ernster in der Frage der Pressefreiheit ist der Streit um die "Unabhängigkeit" oder "Ueberparteilichkeit" zu veranschlagen, der von gewissen deutschen Kreisen, aber auch in englischen Dienststellen aufgegriffen worden ist und zu eigentümlichen Nebelbildungen und Begriffsverwirrungen geführt hat. Eine englische Stelle zur Ueberwachung der öffentlichen Meinung legte im üblichen Verfahren der Bevölkerung in Niedersachsen vor einiger Zeit die Frage vor, welche Art von Zeitungen den deutschen Interessen am besten diene, die "unabhängige Zeitung" oder die "Parteizeitung". Ganz abgesehen davon, daß im tatsächlichen Zeitungsleben das Wort "unabhängig" durch "überparteilich" ersetzt wird, war die obengenannte Frage voreingenommen und beeinflußte durch ihre Art die Antwortgeber von vornherein, da man ohne weiteres mit dem Wort "Parteipresse" die Erinnerungen an die uniformierte Meinungsfabrik "des größten Journalisten aller Zeiten" und seines märchenerzählenden Propagandachefs hervorrief. Es sollten alle, die es angeht, sich davor hüten, die politischen Organisationen, die die gewiß nicht leichte Aufgabe der demokratischen Erziehung des Volkes in einer innerlich und äußerlich schwierigen Situation übernommen haben, als zweitrangig hinzustellen. [] Im übrigen kennen wir, die wir vor 1933 schrieben und von diesem Jahr ab bis 1945 schwiegen, die Wahrheit über die "überparteilichen", "unabhängigen" oder, wie damals auch gesagt wurde, "unpolitischen" Zeitungen. Diese Generalanzeiger- und Tageblattpresse schillerte nach der Revolution von 1918 auf dem Boden der gegebenen Tatsachen "deutsch-demokratisch". Nach einigen Jahren verfiel sie zunehmend dem "Geist" der Schwerindustrie und des Junkertums, dem Nationalismus und dem Kampf gegen die Republik, den Inseraten, Nachrichtendiensten, Korrespondenzen, Matern und sonstigen "Heilmitteln" des Kruppdirektors Hugenberg. Sie schwankte dann unsicheren Schrittes zwischen den Fronten der Generäle, Herrenreiter und braunen Bataillone, um schließlich schon Hofberichte über Adolf, den Führer, auszuwalzen, wenn er in den letzten Monaten vor seiner Machtübernahme nur die Stadt überflog. Diese rückgratlosen Zeitungen waren überreife Früchte einer Ernte der Gleichschaltung ohne nennenswerten Widerstand, denn ihr innerer Gehalt wurde bestimmt durch eine möglichst vielstellige Zahlenhöhe des Reingewinns. Die Zahl der deutschen Zeitungen, die sich 1932 zu einer politischen Grundhaltung bekannten, also nicht "überparteilich" waren, betrug rund dreißig unter hundert. Wie groß war dagegen die Zahl der "überparteilichen" Generalanzeiger-, Heimat- und Kreisblattpresse, mit fast ausschließlich nationalistischem und kapitalistischem Einschlag, und fast alle hißten 1933 früher oder später die [] Hakenkreuzfahne. [] Wir möchten hier nicht reden von den besonderen "überparteilichen" Berufsgefahren eines Journalisten, die vom Chefredakteur nach dem Anstellungsvertrag nicht nur einen Leitartikel, sondern auch Klavierstunden für die Verlegertochter verlangten, die den Kritiker mit der Hypothek einer launenhaften Liebe der gnädigen Frau für den jugendlichen Helden und die Altistin des Theaters beschwerten. Die Freiheit und Unabhängigkeit der Zeitung ist eine Frage der Freiheit von der Macht des Geldes, von der Allmacht des Staates und der Tyrannei eines Apparates. Die Bedrohung liegt nicht von vornherein in der Parteinähe, zumindest solange nicht, als sich ihrer nicht kapitalistische Interessengruppen bemächtigen oder ein einparteiliches Staatssystem total diktiert. [] Der Journalist muß eine politische Meinung haben. Sie wird im Leipziger Allerlei charakterlos und wirkt dann korrumpierend. Auch der Leser erwartet eine offene Stellungnahme, die an die Voraussetzung geknüpft ist, daß ihm zugleich die Quellen der Nachrichten objektiv zu einem umfassenden Urteil erschlossen werden. [] Es kommt also auf den Inhalt der Parteinähe an, und wenn wir hier in eigener Sache, d. h. von unserer Zeitung schreiben, so sind einige Worte der Aufklärung angebracht. Wir kennen keine Pressekommission der uns nahestehenden politischen Organisation. Wir freuen uns, besonders feststellen zu können, daß unsere Partei weder durch ihre Reichs- noch Bezirks- noch Ortsvorstände jemals in dem vergangenen Jahre mittelbar oder unmittelbar in unsere Arbeit eingegriffen oder gestaltenden Einfluß zu nehmen versucht hat. Wir sind ebensowenig ein Regierungsorgan oder eine Zeitung des Ministerpräsidenten, wie man in den parlamentarischen Kulissen aus einem besonderen Anlaß gerade in diesen Tagen sich und anderen einzureden versuchte. [] Kurz: Die Parteinähe wird bestimmt - und darin besteht zwischen unseren politischen Freunden und uns eine geschlossene Einmütigkeit - nicht durch die formalen Bindungen oder Aufsichten eines Apparates, sondern durch den Rahmen der gemeinsamen Idee, von der unsere ganze Tätigkeit getragen wird, der Idee des Sozialismus und der Demokratie im europäischen Geiste. [] Die Wasser dieses Stromes tragen nach unserem Wissen und Glauben nicht nur das wogende Leben des ganzen Volkes in eine lebenswerte Zukunft, sie sind auch so klar und ihre Ufer so weit, daß, bei aller Verschiedenheit eines einzelnen Wellenschlages der zielstrebige Kurs einer schöpferischen journalistischen Arbeit gelenkt wird, den die Menschlichkeit und die Menschen in ihrer Würde benötigen. So ist unsere Pressefreiheit eine Freiheit des Gewissens, die dem Glück und dem Wohlstand unseres Volkes und aller Menschen untergeordnet ist, und wir möchten uns wünschen, dafür immer bessere, immer überzeugendere Worte und Zeilen zu finden und zu schreiben.
Published:1947 - 1948