Parteitag der Schwäche

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Arthur Bratu im AdsD Parteitag der Schwäche [] [] Im Sowjetsektor Berlins tagte der IV. Parteitag der SED. Auf dem Gelände des Zentralviehhofes im Osten der gespaltenen Stadt versuchten sich einige hundert ausgesuchte und...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Ostbüro, Rahn, Willi
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.04.1954
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/BC85B294-9975-475B-A534-F6485E1E235D
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Arthur Bratu im AdsD Parteitag der Schwäche [] [] Im Sowjetsektor Berlins tagte der IV. Parteitag der SED. Auf dem Gelände des Zentralviehhofes im Osten der gespaltenen Stadt versuchten sich einige hundert ausgesuchte und gesiebte Funktionäre gegenseitig von den»Erfolgen« und der »Stärke« ihrer Partei zu überzeugen. Die Zone übersah das Schauspiel. Denn genau so hermetisch wie die Delegierten durch Polizeikordons von der Öffentlichkeit isoliert waren, ist diese Satelliten-Partei von den Arbeitern und Bauern der Zone getrennt. Es gibt keine Verbindung zwischen den Peinigern von 18 Millionen Deutschen und ihren Opfern. [] [] Ulbricht markiert den starken Mann [] [] Neue Sondervollmachten, die er faktisch schon längst besaß, ließ sich Ulbricht von den versammelten Ja-Sagern ausstellen. Vollmachten, die angeblich notwendig sind, um den »Staat der Arbeiter und Bauern« weiter zu festigen. Die Erfahrungen der vergangenen neun Jahre aber haben bewiesen, daß neue Vollmachten für die Moskau-Marionette Ulbricht stets eine weitere Entrechtung der Arbeiter und Bauern bedeuten. [] In seinem Rechenschaftsbericht gab Ulbricht ungewollt selbst zu, daß der SED-Staat nichts anderes als ein Unterdrückungsinstrument gegen die Zonenbevölkerung ist. Er gestand, daß sein Apparat nur »mit Hilfe der Besatzungsorgane« aufgebaut und am 17. Juni vor seiner Vernichtung gerettet werden konnte. Trotzdem faselte er von der »Stärke« der SED. Diese Stärke besteht einzig und allein in sowjetischen Besatzungsbajonetten. Auf die Frage nach dem Schicksal des SED-Staates nach Abzug dieser Besatzung, wußte Ulbricht keine Antwort. Um so besser weiß sie aber die Zonenbevölkerung: sie hat sie am 17. Juni 1953 vorweggenommen! [] [] Neue Versprechungen - alte Lügen [] [] Wie immer bei solchen Anlässen, war der Parteitag nicht geizig mit Versprechungen. Ulbricht besaß die Frechheit zu der Behauptung, die SED habe ihr Programm seit 1945 »erfüllt und übererfüllt«. Dieser dummdreiste Ausspruch ist nichts anderes als blutiger Hohn! jeder in der Zone weiß, daß Ulbricht nur ein Versprechen gehalten hat: Er hat die Antreiberei maßlos verstärkt. Alles andere blieb auf dem Papier. [] Dreimal - zuletzt für dieses Jahr - versprach er die Aufhebung der Rationierung. Ergebnis: Die Rationierung bleibt unverändert in Kraft. [] 1950 versprach er, im Laufe des Fünfjahrplanes würden die Arbeitsproduktivität und der Lebensstandard von 1936 überschritten. Ergebnis: jeder Zonenarbeiter muß 150 Prozent von dem leisten, was er 1936 arbeitete. Sein Lebensstandard aber liegt etwas mehr als 40 Prozent tiefer. [] Das sind nur zwei Beispiele von Hunderten. So sehen alle »Erfolge der SED« aus. Wirtschaftlich ebenso wie politisch. Denn auch die politischen»Fortschritte« des Pankower Regimes sind erlogen. Wo hat sich denn etwas seit dem 17. Juni, seit der Verkündung des »neuen Kurses« geändert? Nach wie vor kann sich diese Partei nur durch Terror an der Macht halten. In ihren eigenen Reihen muß sie Säuberung auf Säuberung durchführen, um den Apparat aktionsfähig zu halten. In den Betrieben muß sie »Kampfgruppen« unter Waffen halten, um die Arbeiter zur Duldung des Regimes zu zwingen. Seit dem 17. Juni wurde kein verlorenes Terrain zurückgewonnen, sondern weiterer Boden verloren. [] [] "Die große Perspektive" [] [] Trotz allem wagte Ulbricht, von »schönen Perspektiven« seiner bankrotten Partei zu faseln. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, die Zone werde Anziehungskraft auf den Westen bekommen - eben durch ihre Erfolge. Er appellierte damit an die Dummheit seiner Apparatschiks, deren Blickfeld nicht weiter reicht als die augenblickliche Kurve der Moskauer Parteilinie. Seine im Viehhof versammelten Ja-Sager brüllten Beifall - die Menschen in der Zone aber konnten sich eines bitteren Lachens nicht erwehren. Die neuen »Erfolge«, die heute jeden Bürger der sogenannten DDR bedrohen, sind [] Neufestsetzung von wiederum erhöhten Normen; [] eine weitere Kollektivierungswelle gegen die Bauern; [] Verstärkung des Terrors durch »verschärften Klassenkampf« und neue »Säuberungen« gegen angebliche »Agenten und Saboteure«. [] Diese Maßnahmen forderte Ulbricht und beschloß seinen Parteitag. Sie werden das Leben in der Zone noch mehr erschweren, neue Lasten auf die Bevölkerung wälzen. [] Angesichts dieser Gefahr aber wird in Mitteldeutschland der Wille zum Widerstand gegen das verhaßte Pankower Regime weiterwachsen! [] [] Ulbrichts Angst [] [] Diesen Widerstand fürchten Ulbricht und sein ZK. Verzweifelt haben sie in der Vergangenheit versucht, damit fertig zu werden. Ihre Versuche sind elend gescheitert. Ihr Terror schlug sich immer wieder ins Gegenteil um: Druck erzeugte Gegendruck, Verschärfung der Unterdrückung brachte verstärkten Widerstand. In diesem Teufelskreis ist die SED gefangen. Die Schlinge wird sich mehr und mehr zusammenziehen! [] Wenn Ulbricht und dessen Kumpane auf dem Parteitag von diesem Widerstand sprachen, sprachen sie gleichzeitig vom »Sozialdemokratismus«. Sie bestätigten damit etwas, was in der Zone längst bekannt ist: [] [] Die Sozialdemokratie - stärkste Widerstandskraft! [] [] Viele Städte und Betriebe wurden in den Referaten Ulbrichts, Materns, Schirdewans und anderer genannt. Überall haben angebliche »Agenten des Ostbüros der SPD« die Pläne der SED vereitelt. Überall behindert der »Sozialdemokratismus« die Ausbeuter und Unterdrücker. Diese Eingeständnisse zeigen Kraft und Wirksamkeit sozialdemokratischer Ideen, die überall da zu finden sind, [] wo Arbeiter und Bauern gegen Normenschinderei und Zwang Widerstand leisten; [] wo Arbeiter und Bauern den Sturz des verbrecherischen Ulbricht-Systems fordern; [] wo Arbeiter und Bauern die Durchführung freier und geheimer Wahlen verlangen; [] wo Arbeiter, Bauern und alle freiheitlichen Menschen der Sowjetzone die Herstellung der deutschen Einheit in Freiheit und Frieden durch freie Wahlen erstreben. [] Für diese Forderungen stehen die sozialdemokratischen Widerstandskämpfer in der Zone ein - für diese Forderungen kämpft die große Sozialdemokratische Partei in der Bundesrepublik. In der Zone schließen sich immer mehr Menschen unter diesem »Sozialdemokratismus« zusammen, Menschen, die früher niemals etwas mit der SPD zu tun hatten, ebenso wie solche, die durch die Unterdrückung der Sozialdemokratie in die Illegalität getrieben wurden. [] Selbst in die Reihen der SED dringt diese Kraft ein und ruft unter den Kadern der Staatspartei Lähmung und Zersetzung hervor. Ölßner gab auf dem Parteitag zu: 30 Prozent der Mitglieder zahlen keine Beiträge mehr! Und Ulbricht schrie erneut nach Parteiaktivs: Die Masse der Mitglieder ist nicht auf Linie zu halten. [] Das alles bedeutet: Trotz aufgeblasener Phrasen über »Kraft und Stärke der SED« ist diese von der sowjetischen Besatzungsmacht geschützte Partei in der Defensive, ist in die Enge getrieben und kämpft mit dem Rücken an der Wand. [] [] Der Widerstand wird erfolgreich sein! [] [] Der Parteitag ist zu Ende. Ulbricht gab einen Bericht über neun Jahre seines Terrors. Neun Jahre lang hat er vergeblich versucht, den Freiheitswillen der Zonenbevölkerung zu ersticken. Was ihm in neun Jahren nicht gelang, wird ihm im zehnten Jahr erst recht nicht gelingen. [] Als die SED vor neun Jahren mit der Sowjetisierung begann, hatte sie noch eine, wenn auch kleine Basis in der Bevölkerung. Neun Jahre haben gereicht, um das Pankower Regime zu isolieren und zu einem Häufchen abgestempelter Agenten einer fremden Macht zu degradieren. [] Als die SED vor neun Jahren auf den Plan trat, gab es noch eine überzeugte Mitgliedschaft. Heute ist sie zersetzt und zerfressen, nur noch zusammengehalten durch den Terror einer Handvoll Apparatschiks. [] Diesem Niedergang steht ein gewaltiges Wachsen der Widerstandskräfte gegenüber. Heute haben 18 Millionen Menschen nur noch einen Willen: [] [] Fort mit Ulbricht und seiner Clique! [] Fort mit Normen, Kolchosen, Ausbeutung und Unterdrückung! [] Abrechnung mit der Terrorpartei durch freie Wahlen! [] Deutschlands Wiedervereinigung in Freiheit und Frieden! [] [] Das sind die Forderungen von 18 Millionen Deutschen. Ihnen gegenüber steht nur eine Handvoll korrumpierter, gekaufter Apparatschiks und Parteiaktivisten Ulbrichts. [] 18 Millionen gegen einen vom ganzen Volk gehaßten Parteiapparat - der Ausgang dieses Kampfes kann nicht zweifelhaft sein! [] [] Freiheit! [] SPD [] [] Herausgeber: Ostbüro der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Berlin-Charlottenburg, Langobardenallee 14. Postanschrift: Willi Rahn, Berlin-Charlottenburg 6, Postlagerkarte 26.
Published:06.04.1954