Kirchenpräsident D. Martin Niemöller an Jakob Kaiser

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Kirchenpräsident D. MARTIN NIEMÖLLER an JAKOB KAISER [] [] Kirchenpräsident D. Martin Niemöller [] Wiesbaden, 2. Mai 1951 [] [] Herrn Bundesminister Kaiser [] Ministerium für gesamtdeutsche Fragen Bonn/ Rhein [] [] Bei meiner Rückkehr von...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Meuser, Karl
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1951
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/A3CEEB54-3927-4E10-9627-934379341EAB
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Kirchenpräsident D. MARTIN NIEMÖLLER an JAKOB KAISER [] [] Kirchenpräsident D. Martin Niemöller [] Wiesbaden, 2. Mai 1951 [] [] Herrn Bundesminister Kaiser [] Ministerium für gesamtdeutsche Fragen Bonn/ Rhein [] [] Bei meiner Rückkehr von einer Predigtreise durch die Ostzone wird mir heute eine mir anonym zugegangene "Oeffentliche Warnung" vorgelegt, die die Unterschrift trägt "Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen". [] Gestatten Sie mir, daß ich, wenigstens Ihnen gegenüber, mein tiefes Bedauern ausspreche, daß die Bundesregierung geglaubt hat, nun auch noch zu derartigen "Warnungen" übergehen zu müssen. Es ist Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, doch wohl noch in Erinnerung, daß der Bundeskanzler sich meinem offenen Brief vom 5. 10. 50, in dem ich die Frage der Remilitarisierung aufgegriffen und öffentlich zur Diskussion gestellt hatte, zu keiner weiteren Aeußerung veranlaßt gesehen hat, als zu der einen: "Eine Volksbefragung ist im Grundgesetz nicht vorgesehen". Das war zu einer Zeit, als es noch keine irgendwie wesentliche kommunistische Aktivität auf diesem Sektor gab. Ich kann mich daher eines leisen Lächelns nicht erwehren, wenn ich sehe, daß man sich jetzt durch völlige Außerachtlassung der Volksmeinung in eine Lage hineinmanövriert hat, aus der man nun sich mit Verboten und Warnungen herauszuziehen versucht. Man merkt dabei deutlich, daß der Bonner Regierung in dieser Angelegenheit nicht mehr wohl zumute ist, vor allem natürlich deswegen, weil Ihr Verhalten in der Remilitarisierungsfrage der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung entgegenstand und noch entgegensteht. Man nimmt es denn auch in dieser schwierigen Situation mit den Tatsachen nicht mehr genau: Es stimmt ja nicht, daß die Volksbefragung gegen die Remilitarisierung eine rein kommunistische Angelegenheit ist, und daß die "Träger dieser Aktion Ausschüsse und Agenten sind, die ohne Ausnahme vom Kommunistischen Politbüro der SED gesteuert und finanziert werden". Wahr ist vielmehr, daß der Wunsch nach einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung, die übrigens in mehreren Länderverfassungen grundsätzlich möglich ist, von der großen Mehrheit des deutschen Volkes geteilt wird, unter der alle Parteirichtungen und weltanschaulichen Schattierungen Vertreten sind. [] [] Aber es geht in der Politik um das Heute und Morgen. Deswegen möchte ich Sie nur darauf aufmerksam machen - und das allerdings mit starkem Nachdruck -, daß der Tenor Ihrer öffentlichen Warnung eine gefährliche Stimmung erzeugt und erzeugen muß: Denn hier wird derartig generalisiert, daß der Eindruck entsteht, der ja wohl auch entstehen soll: wer gegen die Remilitarisierung, für eine Volksbefragung, für eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und für die Erhaltung da Friedens ist - der ist Kommunist!" [] Das heißt aber, die Tatsachen, wie sie durch alle Wahlen der letzten Monate klar erwiesen sind, auf den Kopf stellen. Denn hier wird öffentlich proklamiert: Weit über die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung sind Kommunisten!" [] Zu solchen unmöglichen Dingen und Mitteln müssen Sie deshalb greifen, weil die Bundesregierung in einer politischen Frage eine Haltung eingenommen hat, die der allgemeinen Volksmeinung entgegensteht, und weil sie zu deren Annahme nun die ganze westdeutsche Bevölkerung zu zwingen versucht mit dem Argument: "Wer sich uns nicht anschließt, ist Kommunist oder dient den Kommunisten." Hier kann ich nur warnend meine Stimme erheben; denn da, wo solch ein Argument auch nur als Unterton durchklingt - und hier ist es die Dominante -, da wird die westliche Freiheit schlecht genutzt und mißbraucht. [] Es geht einfach darum, wie die Bundesregierung in Bonn glaubt, die von ihr angestrebte westdeutsche Wiederbewaffnung demokratisch legitimieren zu können. Wenn ich mich recht erinnere, so hat der amerikanische Hohe Kommissar. Mr. McCloy, eine Wiederbewaffnung Deutschlands an die drei Bedingungen geknüpft: Zustimmung der Regierung, des Bundestages und des deutschen Volkes. Es wäre Aufgabe der Bundesregierung gewesen, zu überlegen, auf welche Weise die Zustimmung da westdeutschen Volkes tatsächlich herbeigeführt und festgestellt werden soll. Ich kann mir nicht denken, daß Mr. McCloy nur aus Versehen die Zustimmung des Bundestages und des Volkes nebeneinander gestellt haben sollte. Wahrscheinlich wollte er zum Ausdruck bringen, daß in dieser Frage es mit dem Argument, Westdeutschland sei eine repräsentative Demokratie, nicht getan sei. [] Wenn der Bundestag tatsächlich heute die Meinung der westdeutschen Bevölkerung repräsentieren würde, dann freilich wäre die ganze Diskussion überflüssig. Dann brauchte man aber auch keine Angst vor einer Volksbefragung zu haben, käme sie selbst von kommunistischer Seite. Nach meinen früheren Erfahrungen muß ich fürchten, daß es der Regierung Adenauer gar nicht um "Demokratie" zu tun ist und nicht um den Schutz der "Verfassung", sondern daß man eben auch gegen den Willen des Volkes aufrüsten will, und daß hier eine psychologische Vorbereitung größten Stils für eine Remilitarisierung begonnen hat, die aber nichts mehr gemein hat mit dem, was wir deutschen Menschen Freiheit nennen und was uns Freiheit bedeutet. [] Mit vorzüglicher Hochachtung! [] D. Niemöller [] [] Verantwortlich für den Inhalt: Karl Meuser, Mannheim
Published:1951