Liebe Rentnerinnen, liebe Rentner!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals HERBERT WEHNER [] Mitglied des Deutschen Bundestages [] Vorsitzender [] der Sozialdemokratischen [] Bundestagsfraktion [] 5300 Bonn, Bundeshaus 26. 2. 1980 [] Liebe Rentnerinnen, liebe Rentner! [] Für Sozialdemokraten ist die Rentenversicherun...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Wehner, Herbert
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1980
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/C06EA2CD-8A85-475F-9B3D-B4612E14A158
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals HERBERT WEHNER [] Mitglied des Deutschen Bundestages [] Vorsitzender [] der Sozialdemokratischen [] Bundestagsfraktion [] 5300 Bonn, Bundeshaus 26. 2. 1980 [] Liebe Rentnerinnen, liebe Rentner! [] Für Sozialdemokraten ist die Rentenversicherung die wichtigste Säule der sozialen Sicherung. Der Ausbau der sozialen Alterssicherung war deshalb stets ein Schwerpunkt unserer Sozialpolitik. [] Dem Drängen der Sozialdemokraten ist es zu verdanken, daß mit der Rentenreform 1957 die bruttolohnbezogene, dynamische Rente geschaffen wurde. In den 60er Jahren bedurfte es großer Anstrengungen, um zu verhindern, daß die Rentenversicherung in ihrer Bedeutung für die Sicherung des Lebensstandards im Alter ausgehöhlt wurde. [] Unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung ist seit 1969 das soziale Netz enger und fester geknüpft worden. Ich will keine buchhalterische Bilanz der Leistungsverbesserungen aufstellen. Sie selbst sind Zeuge dieses Fortschritts. Ich will nur einen Punkt herausgreifen: Seit 1969 sind die Renten um insgesamt 143% erhöht worden. Auch wenn man die Preissteigerungen abzieht, heißt das, daß die reale Kaufkraft der Rentner um etwa 50% gestiegen ist. Hier zeigt sich, in welchem Ausmaß die Rentner am wirtschaftlichen Fortschritt teilgenommen haben - und dies , obwohl es in der Rentenversicherung durch die Weltwirtschaftskrise erhebliche Schwierigkeiten gegeben hat. Diese Schwierigkeiten haben wir durch rechtzeitige und sozial ausgewogene Maßnahmen, die sowohl Rentner wie auch Arbeitnehmer zu tragen haben, gemeistert. Die Rentenversicherung ist heute konsolidiert. Sie hat eine solide finanzielle Grundlage. [] In diesen Tagen steht die Rentenversicherung erneut im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Das liegt daran, daß die Sozialdemokratische Partei mit ihrem Programmentwurf eine breite Diskussion über Notwendigkeit, Ziele und Lösungsmöglichkeiten einer umfassenden Rentenreform eröffnet hat. Diese Reform, deren Kern der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zur Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung ist, soll im Jahre 1985 in Kraft treten. [] Sie möchten nun mit Recht wissen, wie es in der Rentenversicherung in den nächsten Jahren weitergeht und in welcher Weise Sie durch diese Rentenreform betroffen sind. Ich möchte Ihnen als Vorsitzender der Arbeitsgruppe, in der die SPD-Vorschläge erarbeitet worden sind, einige Erläuterungen dazu geben: [] Die Entwicklung der Renten in den nächsten Jahren ist zunächst durch das 21. Rentenanpassungsgesetz bestimmt: Nach einer Rentenerhöhung von 4% zum 1. Januar 1981, die die Rentenkonsolidierung abschließt, werden sich die Rentenerhöhungen ab 1982 wieder nach der Entwicklung der Bruttolöhne richten. Das haben wir gesetzlich beschlossen. Und dazu stehen wir. [] Was nun die Rentenreform angeht, die vor allem die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung betrifft, so ist der entscheidende Punkt, daß diese Rentenreform in die Zukunft gerichtet ist. Das heißt, daß es für die heutigen Rentnerinnen und Rentner beim geltenden Recht bleibt. Ihre Renten werden wie bisher weitergezahlt und - wie gesagt - ab 1982 wieder jährlich nach der Bruttolohnentwicklung erhöht. Einige der Reformvorschläge der SPD sind aber auch für die heutigen Rentnerinnen und Rentner von Bedeutung: [] 1.) Ab 1985 soll die Hinterbliebenenversorgung auf eine neue Grundlage gestellt werden. Im Mittelpunkt dieser Neuregelung soll die "Gesamtversorgungsrente" stehen. Danach soll der überlebende Ehepartner eine Rente erhalten, die 70% der gemeinsamen Rentenansprüche beider Ehepartner beträgt, mindestens jedoch die volle eigene Versichertenrente. Für Versicherte, die nach 1984 in Rente gehen und nach altem Recht neben der eigenen Versichertenrente Anspruch auf eine 60%ige Hinterbliebenenrente hätten, wird in einer Übergangszeit von 10 Jahren die jeweils für sie günstigste Berechnungsmethode angewandt. [] 2.) Wir Sozialdemokraten wollen ab 1985 für jedes Kind 1 Versicherungsjahr bei der Rente berücksichtigen. Dieses Baby-Jahr soll auch den heutigen Rentnerinnen zugute kommen. Wir haben uns ganz bewußt für eine Regelung entschieden, die alle Frauen begünstigt, nicht nur die Frauen, die künftig Kinder erziehen, sondern auch die Frauen, die in der Vergangenheit - und das oft unter sehr viel schwierigeren wirtschaftlichen Bedingungen und häufig ohne staatliche Leistungen - Kinder erzogen haben. Konkret bedeutet das, daß die Rentnerinnen für jedes Kind eine Rentenerhöhung von rd. 25,- DM im Monat erhalten. [] Mir ist bewußt, daß die gesellschaftliche Bedeutung der Kindererziehung eine weitergehendere rentenrechtliche Anerkennung verdient hätte. Aber der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Frauengenerationen und die politische Verantwortung für die finanzielle Solidität (1 Baby-Jahr kostet 3,5 Mrd. jährlich!), stand bei unseren Vorschlägen im Vordergrund. [] 3.) Wie Sie wissen, wurde im 21. Rentenanpassungsgesetz gleichzeitig festgelegt, daß 1982 ein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt wird . Dazu erhalten alle Rentner zusätzlich zu ihrer Rente einen Beitragszuschuß der Rentenversicherung, der genau so hoch ist wie der Krankenversicherungsbeitrag. Für Rentner, die nur eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, bedeutet das, daß sie durch diesen Krankenversicherungsbeitrag nicht belastet werden. Wer allerdings zusätzliche Renteneinkommen hat, z.B. Betriebsrenten oder Pensionen, muß für diese Zusatzeinkommen künftig einen Krankenversicherungsbeitrag zahlen. Damit soll sichergestellt werden, daß entsprechend dem Grundprinzip unserer sozialen Krankenversicherung jeder nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung seiner Krankenversicherung beiträgt. [] Die SPD sagt in ihrem Rentenreformprogramm offen und ehrlich, daß sie prüfen will, ob auch die Rentner der Rentenversicherung - allerdings erst nach 1985 - mit ihrer Rente an ihrer Krankenversicherung beteiligt werden müssen. Hinter diesen Überlegungen steht ein ernsthaftes Problem. Mir liegt sehr daran, es Ihnen zu verdeutlichen: [] Wie Sie wissen, ist die Grundlage der Rentenversicherung die Generationensolidarität: Die jeweils erwerbstätige Generation finanziert mit ihren Beiträgen die Renten. Diese Generationensolidarität ist - das ist meine feste politische Überzeugung - auf Dauer nur dann gesichert, wenn sich die verfügbaren Einkommen der Rentner und der Arbeitnehmer gleichgewichtig entwickeln. Dieses Ziel wäre jedoch bei der vorgesehenen dauerhaften Rückkehr zur bruttolohnbezogenen, dynamischen Rente dann gefährdet, wenn die Arbeitnehmer mit höheren Steuern oder Sozialabgaben belastet werden müßten. Denn in diesem Fall wären die bruttolohnbezogenen Rentensteigerungen höher als die Zuwächse der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer. [] Sie werden verstehen, daß für diesen Fall im Interesse eines verläßlichen Generationenvertrages Vorsorge getroffen werden muß. Deshalb wollen wir prüfen, ob die Rentner nach 1985 schrittweise einen Teil des Krankenversicherungsbeitrages selbst aufbringen sollen. Das kann allerdings nur in behutsamen Schritten erfolgen. Die Regelung muß außerdem sozial ausgewogen gestaltet werden: Niedrigere Alterseinkommen müßten von der Beitragszahlung ausgenommen werden. Langfristig würde es höchstens dazu führen, daß die Rentner - wie die Arbeitnehmer - die Hälfte des Krankenversicherungsbeitrages selbst zu tragen hätten, während die andere Hälfte - wie der Arbeitgeberanteil - auf Dauer von der Rentenversicherung als Solidarbeitrag übernommen werden müßte. [] Wir Sozialdemokraten haben uns diese Überlegungen nicht leichtgemacht. Aber es wäre unredlich, den Rentnern eine dauerhafte Rückkehr zur bruttolohnbezogenen, dynamischen Rente zu versprechen, ohne zugleich für den Fall vorzusorgen, daß sich die Renten und Arbeitnehmereinkommen auseinanderentwickeln. [] Unsere Überlegungen zum Rentnerkrankenversicherungsbeitrag dienen der Festigung der Solidarität der Generationen; sie liegen daher auch im Interesse der Rentner. [] Ich bitte um Ihr Verständnis und Vertrauen! Wenn Sie noch Fragen oder Anregungen haben, schreiben Sie mir bitte! [] Mit freundlichen Grüßen [] Ihr [] Herbert Wehner
Published:1980