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Handelpolitische Flugblätter der "Nation" [] Nr. 11. [] Zollkrieg oder Handelsfrieden mit den Vereinigten Staaten von Amerika? [] Unser Vertragsverhältmß mit den Vereinigten Staaten. [] Bei der großen Bedeutung, welche dem Handelsverkehr zwischen Deutschland und den Verewigten Staaten zukommt, ist es eine merkwürdige Erscheinung, daß über das vertragsrechtliche Verhältniß zwischen diesen beiden Ländern niemals ein klares Einverständnis bis zum Abschluß des jüngsten Abkommens bestanden hat. Die Stellung, welche die deutsche Regierung in dieser Frage einnommen hat, ist zuletzt vom Staatssekretär ' des Auswärtigen Amts Graf Bülow, dem jetzigen Reichskanzler, in der Reichstagssitzung vom 11. Februar 1399 gekennzeichnet worden. Nach seinen Aeußerungen beruhen unsere Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten vertragsrechtlich auf dem preußisch-amerikanischen Abkommen vom Jahre 1823 und den gleichartigen Vereinbarungen der anderen deutschen Seeufer-Staaten. Darin haben sich die vertragschließenden Staaten wechselseitig die Meistbegünstigung zugestanden und die Differenzen, die zwischen Amerika und Deutschland zum Ausdruck gekommen sind, haben ihren Grund in der verschiedenen Auffassung, welche die Regierungen dieser beiden Länder über die Tragweite des Meistbegünstigungsrechts gehegt haben. Die betreffenden Bestimmungen des preußisch-amerikanischen Abkommens haben folgenden Inhalt: Der Artikel 5 sieht vor, daß auf den Eingang der Erzeugnisse des einen vertragschließenden Landes in das andere Land weder andere noch höhere Abgaben gelegt werden sollen, als diejenigen, welche auf gleiche Waaren irgend eines fremden Landes gelegt sind oder gelegt werden. Der Artikel 9 aber lautet: "Wenn von einem der kontrahirenden Theile in der Folge anderen Nationen irgend eine besondere Vergünstigung in Betreff des Handels oder der Schifffahrt zugestanden werden sollte, so soll diese Begünstigung sofort auch dem andern Theile mit zu Gute kommen, welcher derselben, wenn sie ohne Gegenleistung zugestanden ist, ebenfalls ohne eine solche, wenn sie aber an die Bedingung einer Vergeltung geknüpft ist, gegen Bewilligung derselben Vergeltung theilhaftig wird." - "Aus diesen Abmachungen," sagte Herr von Bülow, "haben wir stets gefolgert, daß uns hinsichtlich aller Zollfragen die unbeschränkte Meistbegünstigung zusteht, daß wir dagegen auf etwaige besondere Begünstigungen anderer Art, die von Seiten der Union dem Handel und der Schiffahrt eines dritten Staates gegen Entgelt gewährt werden, nur dann Anspruch machen können, wenn auch wir uns zu entsprechenden Gegenleistungen an die Vereinigten Staaten verstehen." Dagegen ist die amerikanische Regierung der Ansicht, daß die im Artikel 9 des Vertrages enthaltene Einschränkung eine allgemeine Bedeutung habe und also auch in Zollfragen maßgebend sei. [] Derselbe Zwiespalt der Auffassung kam in Betreff der Saratoga-Konvention vom Jahre 1891 zum Ausdruck. Durch diese Konvention sagte die deutsche Regierung zu, das im Jahre 1883 erlassene Verbot der Einfuhr von amerikanischem Schweinefleisch wieder aufzuheben. Das deutsche Reich räumte der Union seinen Konventional-Tarif ein und sah dafür nach der Reciprocitäts-Klausel des Mac Kinley Tarif-Gesetzes seinen Rohzucker günstig behandelt. Diese Konvention wurde von den amerikanischen Staatsmännern als ein Handelsabkommen betrachtet, das ein neues Vertragsrecht einführte, während die deutschen Staatsmänner in ihr nur eine Erklärung und Feststellung des seit 1823 bestehenden Vertrags-Zustandes sahen. Als nun im Jahre 1894 durch die Annahme des Wilson-Tarifs die betreffende Reciprocitäts-Klausel wieder beseitigt wurde, wäre nach dem von der amerikanischen Regierung eingenommenen Standpunkt Deutschland vollauf berechtigt gewesen, das Zugeständnis, das es der Union mit der Einräumung des Vertrags-Tarifs gemacht hatte, wieder zurückzuziehen. Die deutsche Regierung aber konnte sich von ihrem Standpunkt aus dazu nicht veranlaßt sehen. [] Die Verschiedenheit der Ansichten, welche zwischen den beiden Staaten über die Gültigkeit ihres Vertragsrechts bestand, führte zu neuen Konflikten, als im Jahre 1897 der Dingley-Tarif zur Annahme gelangte. Nach diesem Gesetze trifft den Prämienzucker ein Zollzuschlag, welcher der Prämie, die dem Zucker in seinem Ursprungslande gewährt wird, gleichkommt. Gegen diese Zuschläge erhob die deutsche Regierung Einspruch, da sie eine Verletzung des Meistbegünstigungsrechts bedeuteten. Die Verhandlungen, die hierüber eingeleitet wurden, haben bisher noch zu keinem Abschluß geführt. [] Durch die Abschnitte 3 und 4 des Dingley-Tarifes wurde der Präsident der Vereinigten Staaten ermächtigt, Handelsabkommen mit anderen Staaten abzuschließen. Nach dem Abschnitt 3 kann er die Einfuhrzölle auf Weinstein, Weinhefe, Spirituosen, Schaumwein und andere Weine, Wermut, Gemälde und Statuen ermäßigen, wenn ihm dafür gleichwertige Zugeständnisse zu Gunsten der Einfuhr amerikanischer Erzeugnisse und Fabrikate gemacht werden. Derartige Verträge wurden dann auch mit Frankreich, Portugal und Italien abgeschlossen. Die deutsche Negierung erhob nun auf Grund des Meistbegünstigungsrechts, den Anspruch, daß die den obigen Staaten gemachten Zugeständnisse auch auf Deutschland ausgedehnt werden sollten. Als die Unions-Regierung Schwierigkeiten machte, stellte die deutsche Regierung die Entziehung ihres Konventional-Tarifs in Aussicht. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen gab die Unions-Regierung nach, und so kam das Handelsabkommen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten um die Mitte dieses Jahres zu Stande. Die hauptsächliche Bedeutung dieses Vertrages liegt nicht in den wirtschaftlichen Vortheilen, die er Deutschland bringt, sondern darin, daß er eine offizielle Anerkennung des deutschen Standpunktes bedeutet. Damit ist die Differenz der Anschauungen, die fortwährend Anlaß zu Streitigkeiten gegeben hatte, endgültig beseitigt. Deutschland hat gegen Zusicherung seines Vertrags-Tarifs die auf Grund des Abschnitts 3 des Dingley-Tarifs anderen Staaten gemachten Zugeständnisse erhalten. Sollte auf Grund des Abschnitts 4 des Dingley-Tarifs ein neues Handelsabkommen mit Frankreich zu Stande kommen, das ihm Zoll-Ermäßigungen bis zu 20 % gewährt, so würde auch Deutschland ohne Weiteres in den Genuß derselben Rechte treten. [] Unsere Handelsbilanz. [] Nach der amerikanischen Statistik stellte sich die deutsche Ein- und Ausfuhr im Verhältniß zum Gesammthandel der Vereinigten Staaten während der letzten 10 Fiskaljahre wie folgt: [...Tabelle...] [] Aus diesen Zahlen geht hervor, daß die Einfuhr der Vereinigten Staaten nach Deutschland um 100 % in den letzten 10 Jahren gestiegen ist. Auch die Ausfuhr aus Deutschland nach den Vereinigten Staaten zeigt eine steigende Tendenz, soweit amerikanische Tarifgesetze nicht störend eingreifen. Daraus ergiebt sich, wie wichtig für Deutschland ein Handelsvertrag mit Amerika wäre, der die amerikanischen Zollsätze auf längere Zeit hinaus binden würde. Die hohe Einfuhrziffer des Jahres 1897 erklärt sich daraus, daß vor dem Inkrafttreten des Dingley-Tarifs noch möglichst viel Waaren nach Amerika importirt wurden. Seit der Zeit hat sich der deutsche Ausfuhrhandel von den Schlägen, die ihm der Dingley-Tarif versetzte, wieder erholt, und im letzten Jahr hat die deutsche Einfuhr den Stand wieder überschritten, den sie im Jahre 1896 vor der Gültigkeit des Dingley-Gesetzes inne hatte. Nach England ist Deutschland das wichtigste Ausfuhrland für Amerika, aber während die englische Einfuhr aus den Vereinigten Staaten nur um 25 %, ist die deutsche, wie schon angegeben, um 100 % gewachsen. Für die steigende Expansionskraft der amerikanischen Produktion hat daher ein Absatzgebiet wie Deutschland, dessen Aufnahmefähigkeit stark zunimmt, eine ganz besondere Bedeutung. [] Die deutsche Statistik, welche immer nur für das Kalenderjahr gilt, geht bis zum Jahre 1899. Danach stellen sich die Werthe der Gesammt-Einfuhr und -Ausfuhr in dem 10jährigen Zeitraum von 1890 bis 1899 wie folgt: [...Tabelle...] [] Wenn wir von dem Jahr 1890 absehen, so zeigt der deutsche Handelsverkehr mit den Verewigten Staaten bis zum Jahre 1893 eine zunehmende Unterbilanz, die dann 1899 wieder etwas abgenommen hat. Diese passive Handelsbilanz darf aber keineswegs als ein Zeichen dafür angesehen werden, daß Deutschland durch seinen Handel mit den Vereinigten Staaten Schaden erleidet. Wäre das der Fall, so würde auch Großbritannien durch seinen Handel mit Deutschland und der Union, und so würde die Union durch ihren Handel mit den südamerikanischen und asiatischen Ländern benachtheiligt. Daß dieser passiven Handelsbilanz in Wirklichkeit aber eine aktive Zahlungsbilanz gegenüber steht, dafür spricht der Umstand, daß mit Ausnahme des Jahres 1893 Deutschland mehr Edelmetalle aus Amerika eingeführt hat, als es nach dorthin ausführte. Die passive Handelsbilanz, welche der gesammte Außenhandel Deutschlands aufweist, muß bei der gleichzeitigen unzweifelhaften Zunahme des Nationalvermögens als ein sicheres Zeichen für eine gesunde wirthschaftliche Entwicklung angesehen werden. Sie ist daraus zu erklären, daß Deutschland mehr Rohstoffe und Nahrungsmittel einführt als ausführt, während andererseits in dem auswärtigen Handel mit Fabrikaten ein hoher Ueberschuß zu Gunsten Deutschlands besteht. Die deutsche Landwirthschaft ist nicht mehr im Stande, der sich rasch entwickelnden deutschen Industrie die nöthigen Rohstoffe zu liefern und die stark anwachsende Bevölkerung mit ausreichenden Nahrungsmitteln zu versorgen. So kommt es, daß Deutschland immer größere Mengen dieser Naturprodukte vom Ausland beziehen muß und daß es wie jeder größere Industrie-Staat eine passive Bilanz in dem auswärtigen Handel mit landwirthschaftlichen Erzeugnissen, eine active aber in dem mit hochwerthigen Fabrikaten besitzt. Die deutsche Industrie würde in ihrer Entwicklung bedeutend gehemmt werden, wenn einmal die passive Bilanz in dem Verkehr mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln in ihr Gegentheil umschlagen sollte. Das wirthschaftliche Gedeihen des deutschen Reiches beruht durchaus auf der ungestörten Entwicklung seiner Industrie, ohne die es nicht in der Lage wäre, immer schwerere finanzielle Lasten auf sich zu nehmen. Deutschland ist in dm letzten Jahren in immer weiterem Umfange ein Gläubiger anderer Staaten geworden. Nach den neusten Schätzungen belaufen sich die Kapitalanlagen, die Deutschland im Ausland gemacht hat, auf 9520 Millionen Mark. Rechnet man, daß dieses Kapital sich zu 5 % verzinst, so würde Deutschland 476 Millionen Mark als Zinsen vom Ausland erhalten. Diese Summe, die voraussichtlich zunimmt, geht in Form von Waaren bei uns ein. Dasselbe ist der Fall mit den beträchtlichen Einnahmen, die den deutschen Rhedereien aus dem Frachtverkehr mit dem Auslande zufließen, und die man auf 150 Millionen Mark schätzen kann. Dazu kommen noch die Einnahmen, die Deutschland ans der Seeversicherung bezieht und die im internationalen Börsenhandel gemachten Agio-Gewinne. Auch die in Deutschland reisenden und sich aufhaltenden Ausländer, unter denen die Amerikaner besonders stark vertreten sind, erhöhen noch durch die Mittel, die sie in Deutschland zu ihrem Unterhalt verbrauchen, den Tribut, den das Ausland uns jährlich darbringt. Das alle diese und ähnliche Gewinne uns schließlich als Waaren zugeführt werden, so hat Deutschland wohl eine ungünstige Handels- aber eine günstige Zahlungsbilanz. Diese Ausführungen sind auch speziell bei der Beurtheilung unseres Waarenverkehrs mit den Vereinigten Staaten zu berücksichtigen. Die hervorragendsten Einfuhrartikel aus den Vereinigten Staaten waren im Jahre 1899 dem Werth nach: [...Tabelle...] [] Dagegen kommen bei der deutschen Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten im Jahre 1899 dem Werth nach hauptsächlich folgende Artikel in Betracht: [...Tabelle...] [] Die Vereinigten Staaten liefern dem deutschen Zollgebiet also vornehmlich Erzeugnisse des Bodens und der Viehzucht und empfangen dagegen hauptsächlich Rohzucker, Erzeugnisse der Textil- der chemischen und einiger anderer Industrieen. [] Die Wirkungen eines Zollkrieges. [] Der Ruf nach einem Zollkriege mit Amerika ist hauptsächlich aus agrarischen Kreisen hervorgegangen. Die Agrarier möchten in dieser Weise sich von dem Druck der amerikanischen Konkurrenz befreien. Sollte es den Agrariern gelingen, die Einfuhr des amerikanischen Weizens durch einen Zollkrieg auszuschließen, so würde Deutschland, um diesen Ausfall zu decken, um so größere Quantitäten aus Argentinien, Rußland, Rumänien, Indien beziehen müssen, während andere Staaten, wie England. Holland, Belgien u. f. w- größere Mengen des amerikanischen Weizens verbrauchen würden. Für die deutsche Landwirthschaft würde dadurch aber nichts besser geworden fern. Der Mais, dessen Anbau in Deutschland nur gering ist, kommt als Konkurrenz-Artikel für die deutsche Landwirthschaft weniger in Betracht. Wollten wir aber sein. Einfuhr durch Zollerhöhung erschweren, so würden wir, da wir ihn von Amerika kaufen müssen, nur eine Steigerung seines Preises damit erreichen. Die Kosten würden von den deutschen Konsumenten zu tragen sein, die wiederum zum größten Theil aus Landwirthen bestehen. Eine Schädigung zahlreicher deutscher Landwirthe würde es auch bedeuten, wollten wir sämtliche aus Amerika bezogene Futter- und Dungmittel durch einen Zollkrieg von der Einfuhr nach Deutschland ausschließen. Wenn dagegen Amerika Gegenmaßregeln anwendet, so würde vor Allem wiederum die deutsche Lanhwirthschaft durch ein etwaiges Einfuhrverbot von deutschem Rohzucker am schwersten getroffen werden. Unsere Landwirthschaft würde demnach aus einem Zollkrieg mit Amerika ganz sicher mehr Schaden als Fortheil erfahren. [] Die deutsche Industrie hat eigentlich niemals den Wunsch nach einem Zollkrieg mit den Vereinigten Staaten geäußert. Sie würde davon auch nur die schwersten Benachtheiligungen zu erwarten haben. Ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt würde durch eine Erschwerung der Einfuhr amerikanischer Rohstoffe und Nahrungsmittel bedeutend geschwächt werden. Andererseits bieten die Vereinigten Staaten trotz ihres industriellen Fortschrittes ein immer aufnahmefähigeres Absatzgebiet für deutsche Ganz- und Halbfabrikate. Nach dem diesjährigen Census umfaßt die Union eine Bevölkerung von 76295220 Einwohnern. Die Einwohnerzahl hat sich seit 1820 alle 30 Jahre verdoppelt. Noch schneller als die Bevölkerung ist der Wohlstand des Landes gewachsen. Es ist schon hervorgehoben worden, daß die deutsche Einfuhr nach Amerika eine beständig steigende Tendenz zeigt, solange die amerikanische Zollgesetzgebung nicht störend eingreift. Im Interresse der deutschen Industrie liegt daher nicht ein Zollkrieg, sondern ein sich fortgesetzt befestingender Handelsfrieden mit den Vereinigten Staaten. [] Der Verlag der "Nation" (Georg Reimer, Berlin W., Lützowstraße 107/108) stellt dies Flugblatt weiteren Kreisen zum Preise von 10 Mark für die ersten 1000 Stück, zum Preise von 5 Mark für jedes weitere 1000 [] zur Verfügung. [] (100 Exemplare eines Flugblattes werden zu 1,50 Mark abgegeben. - Probeexemplare gratis.) [] Weniger als je 100 Exemplare eines Flugblattes werden käuflich nicht abgegeben. [] Verlag von Georg Reimer, Berlin W., Lützowstraße 107/108 - Druck von H. S. Hermann in Berlin.
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