Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; warum [] Prof. Dr. Willi Brundert [] wurde am 12. Juni 1912 in Magdeburg geboren. Nach dem Abitur studierte er in Halle (Saale) und Frankfurt a. M. Rechts- und Staatswissenschaften. 1935 promovierte er an der Universität Hamburg zum Dr. jur. Bis zu seiner Einberufung 1941 war er in der Wirtschaft tätig. Seit 1930 Mitglied der SPD, gehörte Willi Brundert als Mitarbeiter Carlo Mierendorffs zu den Männern des Widerstands. [] Von 1946 an lehrte er an der Universität Halle. 1949 ließen ihn die sowjetzonalen Machthaber wegen "Sozialdemokratismus" in einem Schauprozeß zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilen. Nach vorzeitiger Haftentlassung kam er 1957 nach Hessen. Zunächst Leiter der Landesfinanzschule und seit 1963 Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei, wurde Willi Brundert 1964 zum Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main gewählt. Seit 1967 ist er zugleich Präsident des Deutschen Städtetages. [] ... bin ich Sozialdemokrat [] Die an mich oft gerichtete Frage, warum ich Sozialdemokrat sei, könnte im Ergebnis sehr kurz beantwortet werden: aus Tradition und Überzeugung! Doch eine solche, möglicherweise durchaus anschaulich wirkende Aussage bedarf der näheren Präzisierung. [] Tradition nämlich gilt insoweit, als väterlicherseits die Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei gradlinig von heute über Vater und Großvater zurück bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts reicht. Mein Vater, dem ich mich politisch stets verbunden fühlte, war in den neunziger Jahren unter dem Einfluß der modernen Naturwissenschaften und eines daraus abgeleiteten philosophischen Weltbildes der SPD beigetreten, um in dieser Partei für die Grundsätze sozialer Gerechtigkeit und für die Entwicklung der Friedensidee zu wirken. Zur Kirche hatte er aus der Konsequenz seines Denkens ein negatives Verhältnis. [] Ganz anders war insoweit die Haltung meiner Mutter, die in ländlichen Verhältnissen aufgewachsen eine enge Bindung zur evangelischen Kirche gehabt hat. Diese Haltung hatte sie nie korrigiert, auch nicht, als sie schon vor 1914 der SPD beigetreten war. Es lag nahe, daß das harmonische Verhältnis meiner Eltern trotz ihrer unterschiedlichen Ausgangspositionen mich in meiner Jugend oft beschäftigt hat. Anfangs schien es mir ein Phänomen zu sein, wie der kirchlich ungebundene Vater und die Mutter mit ihrem Glauben an die sittlichen Grundsätze des Christentums im Ergebnis ihres Denkens und Handelns übereinstimmten. [] Die eigentliche Antwort fand ich als junger Student, nicht zuletzt unter dem Einfluß von Paul Tillich, der mich als akademischer Lehrer in meiner politischen Entwicklung stark beeindruckt hat. Ich werde nie meine letzte Begegnung mit ihm vergessen, als ich ihn im Mai 1933 in Frankfurt zum Hauptbahnhof begleitete - unmittelbar vor seiner Auswanderung. Kurz zuvor war noch sein Buch "Die sozialistische Entscheidung" erschienen, das gerade für uns junge Sozialisten zu Beginn des Jahres 1933 von außerordentlicherÜberzeugungskraft gewesen ist. Noch stärker als er hat damals allerdings auf meine politische Willensbildung der junge sozialistische Staatsrechtler Hermann Heller eingewirkt. Die Thesen seiner Staatslehre vermittelten mir grundlegende Erkenntnisseüber die Zusammenhänge von sozialistischer Gesellschaftslehre und moderner Demokratie. [] Trotz der durch Herkunft bedingten politisch-traditionellen Bindung bin ich innerhalb der Partei meinen eigenen Weg gegangen. Ich gehörte als junger Sozialist zu dem Kreis um die "Neuen Blätter für den Sozialismus", der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das vielfach verhärtete Denken der "alten Sozialdemokraten" aufzulockern. Neben Paul Tillich und Hermann Heller waren es vor allem Carlo Mierendorff und Theo Haubach, die politischen und geistigen Repräsentanten der jungen SPD-Generation, und Adolf Reichwein, die mir politische Vorbilder und später in der Widerstandsarbeit teilweise engste Freunde geworden sind. [] In den 20er Jahren hatte ich bereits eine erste sozialistisch orientierte Schülergruppe gegründet. Im Sommer 1931 wurde ich zum Vorsitzenden der Sozialistischen Studentenschaft und des Republikanischen Studentenbundes an der Universität Halle gewählt. 1930 war ich mit 18 Jahren der SPD beigetreten. [] Ab Mai 1933 begann meine Mitarbeit im Widerstand, zunächst im Raum Frankfurt, Offenbach, Heidelberg als Verbindungsmann zu Theo Haubach in Berlin, später in Berlin selbst, wo ich ab 1939 als Wirtschafts- und Steuerjurist beruflich tätig war. Mittelpunkt unseres Kreises waren Theo Haubach und Carlo Mierendorff, der nach seiner Entlassung aus 5jähriger KZ-Haft bald wieder aktiv wurde und die Verbindung zur Gruppe um Wilhelm Leuschner und Julius Leber herstellte, während Adolf Reichwein die Brücke zu dem sozial-konservativen "Kreisauer Kreis" schlug. Mit dem tragischen Ausgang des 20. Juli 1944 endete gleichzeitig auch die Existenz unseres Kreises. [] Nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Sommer 1946 nahm ich in meiner Heimatprovinz die politische Arbeit wieder auf. An der mir altvertrauten Hallenser Universität begann meine akademische Lehrtätigkeit in Wirtschafts-, Steuer- und Verwaltungsrecht. Daneben arbeitete ich in der Wirtschaftsverwaltung. Mit meiner Verhaftung wegen "Sozialdemokratismus" fand alles ein jähes Ende. Nach Befehl 160 SMAD (Sowjetische Militär-Administration in Deutschland) wurde ich 1949 in dem berüchtigten Dessauer Schauprozeß zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. [] Fast 8 Jahre ging ich den harten Weg durch Zuchthauszellen, davon 5 Jahre in Einzelhaft. Im Frühjahr 1957 führten die vielfachen Bemühungen meiner Freunde in der Bundesrepublik endlich zu meiner Entlassung. Unvergeßlich bleibt der Tag, als ich Anfang April 1957 auf dem Frankfurter Flughafen landete, um wenige Stunden später in Wiesbaden im Rahmen einer großen SPD-Kundgebung durch Erich Ollenhauer, einen alten Magdeburger Freund, offiziell begrüßt zu werden. Ich war glücklich, trotz aller körperlichen Belastungen in meinem Glauben an Freiheit und Gerechtigkeit in keiner Phase schwankend geworden zu sein. [] In Hessen begann für mich ein neues Leben - beruflich und politisch. Ich wurde Leiter der Landesfinanzschule und lehrte vor allem Staatskunde. Später berief mich Ministerpräsident Dr. Georg-August Zinn als Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei nach Wiesbaden. Im Sommer 1964 erfolgte dann meine Wahl zum Oberbürgermeister von Frankfurt. Seitdem ist mir die Kommunalpolitik zur ersten Aufgabe geworden. Meine Tätigkeit beschränkt sich jedoch nicht auf Frankfurt. Als Verbandsvorsitzender der Regionalen Planungsgemeinschaft Untermain, als Präsident des Hessischen Städteverbandes und als derzeitiger Präsident des Deutschen Städtetags, bin ich mit Aufgaben befaßt, die weit über unsere Stadt hinausgreifen. [] Es ist meine feste Überzeugung, daß unsere junge Demokratie nur durch die Mitarbeit selbstbewußter Staatsbürger gefestigt werden kann. Das geschieht in erster Linie in der Gemeinde, dem Daseinsbereich jedes einzelnen. Dieser "Demokratie an der Graswurzel" fühle ich mich verpflichtet, wenn ich versuche, meine politische Grundhaltung in kommunalpolitische Aktivität umzusetzen. [] Ihr Willi Brundert [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn
Published:28.09.1969