Ein Wort zur Lage unsres Volkes

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Ein Wort zur Lage unsres Volkes [] Die unterzeichneten zur Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg berufenen Männer nehmen zu politischen Fragen und zu den politischen Parteien der Gegenwart Stellung: [] I. [] 1. Wir halten e...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Ehlers, Hermann, Stählin, Wilhelm, Kloppenburg, Hein, Osterloh, Edo
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1946
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/497A3051-FFCF-4C7F-9670-BD42DBF595C2
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Ein Wort zur Lage unsres Volkes [] Die unterzeichneten zur Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg berufenen Männer nehmen zu politischen Fragen und zu den politischen Parteien der Gegenwart Stellung: [] I. [] 1. Wir halten es für eine Pflicht jedes Christen, sich am politischen Leben seines Volkes verantwortlich zu beteiligen. Niemand darf sein Wahlrecht versäumen mit der Absicht, sich der politischen Verantwortung zu entziehen. [] 2. Jeder Christ muß seine Entscheidung für eine bestimmte politische Partei und für bestimmte Wahlkandidaten in seinem eigenen Gewissen vor Gott verantworten. Die Kirche kann ihm diese Entscheidung nicht abnehmen. [] Wie die Kirche ihre Glieder nicht an eine politische Partei weisen kann, so kann sie auch keiner einzelnen Partei das Recht zuerkennen, die Stimmen, aller Christen für sieh zu fordern. [] 3. Die christliche Verpflichtung erfaßt alle Bereiche des Lebens. Das Leben der Christen darf sich nicht in zwei beziehungslos nebeneinander stehende Teile, einen christlich-kirchlichen und einen wirtschaftlich-politischen scheiden. Darum prüfe jeder Christ seine politische Partei in ihrer Zielsetzung und ihren Methoden, ob sie ihm ermöglicht, in ihr Christ zu bleiben. Wenn das nicht der Fall ist, muß jeder Christ wie die ganze Kirche die Partei mahnen, von ihrem widergöttlichen Wesen zu lassen und, wenn das keinen Erfolg hat, sich von ihr scheiden. [] Die Glieder unserer Gemeinden sollen wissen, daß die Kirche ihnen bei dieser Entscheidung zur Seite stehen wird. [] 4. Der Anschluß an eine Partei und ein Wechsel der Parteizugehörigkeit ist eine Frage politischer Zweckmäßigkeit. Jeder Christ mag zu der Partei gehören, bei der er zur Zeit seine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele am besten vertreten sieht. Niemals darf die Zugehörigkeit zu verschiedenen Parteien die Gemeinschaft der Christen zerbrechen. Wer um der Parteizugehörigkeit willen seinen christlichen Bruder schmäht, hat die Parteiüber Christus gestellt. [] 5. Die Kirche bezeugt das Gebot Gottes, gegenüber dem Staat und gegenüber allen politischen Parteien und ihren Anhängern ohne Unterschied. Darum halten wir die Weisung für richtig, daß Pfarrer nicht Mitglieder oder Vertreter politischer Parteien sein sollen. [] II. [] Die Liebe zum Nächsten und die Verantwortung für unser Volk und die Welt treiben uns, die Verantwortlichen im Staatsleben und alle politischen Parteien zur Lösung der vordringlichsten Aufgaben der gegenwärtigen Not aufzurufen. [] 1. Die tödliche Bedrohung des Lebens unseres Volkes und die weltpolitischen Gefahren dieser Zeit lassen, es nicht zu, daß aus Furcht vor den Folgen geschwiegen wird, wo um Gottes willen geredet werden muß. Die Kirche weiß sich verpflichtet, allen, die Verantwortung tragen, in der tapferen Wahrnehmung ihrer Pflichten zur Seite zu stehen. [] 2. Die Austreibung von vielen Millionen Deutschen aus dem Osten und Südosten hat die westlichen Besatzungszonen vor wirtschaftlich und sozial unlösbare Probleme gestellt. Das darf nicht dazu verführen, die Hände in den Schoß zu legen: Es muß alles getan werden, um der gegenwärtigen Not zu steuern, um den Vertriebenen und Heimatlosen, zu helfen und sie vor "Verzweiflung und anderer großer Schande und Laster" zu bewahren. Es ist notwendig, daß den Vertriebenen und Heimatlosen auf gesetzlichem Wege durch Sachabgaben seitens der Besitzenden der unentbehrlichste Lebensbedarf als Eigentum zur Verfügung gestellt wird. Das gegenwärtige Verfahren "freiwilliger" Abgaben reicht für die Behebung der Not nicht aus, es verführt zur Drückebergerei der Egoisten und untergräbt weiterhin die soziale Moral unseres Volkes. Es schafft Klassenunterschiede, die den inneren Frieden bedrohen. Hier ist ein sofortiges Handeln des Gesetzgebers nötig. [] 3. Es muß eine gesetzliche Regelung der Abgabe von Wohnraum erfolgen, die der Willkür örtlicher Instanzen wehrt und, soweit es überhaupt möglich ist, jedem Deutschen ein Anrecht auf einen ausreichenden Wohnraum sichert. Dazu gehört auch, daß die Besatzungsbehörden immer wieder gebeten werden, durch Beschränkung der von ihnen beanspruchten Räume der Gefahr zu wehren, daß Ausweglosigkeit und Verzweiflung zu unkontrollierbaren Ausbrüchen führen. [] 4. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Umgesiedelten so untergebracht werden, daß sie in ihren erlernten Berufen möglichst zweckmäßig eingesetzt werden können; insonderheit muß der Einsatz der bäuerlichen Kräfte unter den Vertriebenen so gelenkt werden, daß der Boden so intensiv wie möglich ausgenutzt wird. Die Frage der Bodenreform darf nicht zu einem propagandistischen Schlagwort werden. Sie muß auf gesetzgeberischem Wege so gelöst werden, daß geltendes Eigentumsrecht und soziale und ernährungspolitische Notwendigkeiten aufeinander abgestimmt werden. Die Kirche wird, soweit es in ihren Kräften steht, durch die Verpachtung des Grundbesitzes ihrer Gemeinden dazu beitragen, daß die Umgesiedelten wieder in eigener Verantwortung auf einem Stück Landes wirtschaften können. [] 5. Die gegenwärtige Lage der Lebensmittelversorgung bringt verhängnisvolle Gefahren für die innere und äußere Wiedergenesung des deutschen Volkes mit sich. Ein Volk, das in unzureichenden Wohnungen, ohne Schutz vor der Kälte und ohne genügende warme Kleidung bei Rationen arbeiten muß, die zum Leben nicht ausreichen, bricht äußerlich zusammen und wird innerlich zermürbt. Es ist allen umstürzlerischen Parolen offen. Darum unterstützen wir die ernsten Warnungen verantwortlicher Männer vor den Folgen der gegenwärtigen unzureichenden Versorgung unseres Volkes. Wir mahnen aber auch alle, die in der Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln und Verbrauchsgütern tätig sind, mit großem Ernst, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Jeder, der um eigenen Gewinnes willen sich den Pflichten gegenüber der Allgemeinheit entzieht, trägt Mitschuld an der Verzweiflung und dem Tod von Brüdern seines Volkes. [] 6. Es muß dafür gesorgt werden, daß die innere Moral unseres Volkes gestärkt wird. Dazu gehört: [] a) daß durch eine gerechte Währungsreform der Arbeit ein angemessener Lohn wird, und daß die Versuchung, durch Tagedieberei und Schwarzhandel ein bequemes Leben zu führen, aufhört; [] b) daß die aus der Vergangenheit politisch Belasteten in einem geordneten Verfahren zur Rechenschaft gezogen, aber nicht in Ausweglosigkeit und Verzweiflung getrieben werden. Auch hier muß der unkontrollierbare Druck örtlicher Instanzen einer klaren gesetzlichen Festlegung der Rechte und Pflichten, der nach einem ordentlichen Verfahren "Eingestuften" weichen. Der jetzige Zustand beschwört die Gefahr des Nihilismus herauf, der nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt bedroht. [] 7. Die Kirche bezeugt, daß keine gesetzliche Regelung politischer und wirtschaftlicher Fragen zum Erfolg führen kann, wenn sie nicht gebunden ist durch Gottes Gebot, das auch in den Dingen dieser Welt gilt. [] Jedes Gesetz, das zum Deckmantel der Gewalt und Unbarmherzigkeit wird, baut nicht auf sondern zerstört die Ordnung des Zusammenlebens der Menschen. [] Das Gebot christlicher Liebe steht als Forderung über allen Menschen, Völkern und Gewalthabern. Nur wenn dieses Gebot im Zusammenleben der Menschen und der Nationen beachtet wird, kann der Versuch, durch Gesetze und Ordnungen die zerstörte Welt neu zu gestalten, fruchtbar werden. Wir rufen die Christen unseres Landes auf, das in ihrem Leben zu bewähren. [] Oldenburg (Oldb), den, 7. August 1946 [] Prof. D. Dr. Wilhelm Stählin [] Bischof [] Dr. jur. Hermann Ehlers [] Oberkirchenrat [] Pastor Heinz Kloppenburg [] Oberkirchenrat [] Pastor Edo Osterloh [] Oberkirchenrat
Published:1946