Liebe Wählerin! Lieber Wähler!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; H. Trittelvitz [] Landrat a. D. [] Homburg/Saar, den 20. August 1953 [] Liebe Wählerin! Lieber wähler! Um Ihre Stimme bei der Wahl zum neuen Bundestag am 6. September werben eine ganze Anzahl von Kandidaten, die Ihnen kaum bekannt sind. Sich...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Trittelvitz, Hermann
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 20.08.1953 - 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/2261572D-0B99-4DBD-AA99-57187D463262
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; H. Trittelvitz [] Landrat a. D. [] Homburg/Saar, den 20. August 1953 [] Liebe Wählerin! Lieber wähler! Um Ihre Stimme bei der Wahl zum neuen Bundestag am 6. September werben eine ganze Anzahl von Kandidaten, die Ihnen kaum bekannt sind. Sich Ihnen allen vorzustellen oder einen Besuch zu machen, erlaubt die Zeit bis zu den Wahlen nicht. Darum schreibe ich Ihnen heute diesen Brief. Verwundern wird Sie, daß der Brief aus dem Saargebiet kommt, einem deutschen Landteil, dessen Bewohner nicht zum Bundestag wählen dürfen, weil eine mit "europäischen" Phrasen verbrämte Siegerpolitik zwischen deutschen Menschen eine Grenze errichtet hat. Damit die Saarbevölkerung, die genau so denkt und empfindet wie Sie, deren Schicksal von den gleichen politischen und wirtschaftlichen Faktoren bestimmt wird, im neuen Parlament vertreten ist, sollen Sie stellvertretend für die an der Wahl gehinderte Saarbevölkerung im Wahlkreis Zweibrücken?Pirmasens?Bergzabern einen gebürtigen Saarländer aus dem grenznahen Homburg in den Bundestag schicken. Dort soll er mitarbeiten, die Schranken zwischen Pfalz und Saar, zwischen West? und Ostdeutschland zu beseitigen. Fragen werden Sie auch, ob ich als Homburger geeignet bin, Ihren Wahlkreis zu vertreten, ob ich von Ihren Sorgen weiß. Dazu darf ich Ihnen sagen, daß Grenzschicksal überall das gleiche ist, daß "Rote Zone" das gleiche bedeutet in Zweibrücken oder Homburg, in Schweigen und Trulben oder in Brenschelbach und Webenhem. Gleich sind auch die Forderungen und Wünsche nach Frieden und Verständigung, nach sozialer Sicherheit, Arbeit und Wohnung, nach einem gerechten Lastenausgleich, dessen Kosten nicht ~allein der Geschädigte zu tragen hat. Gleich sind die Sorgen unserer Arbeiter und Bauern, der Handwerker und überhaupt des Mittelstandes. Denken Sie besonders an das Schicksal der Grenzgänger, die seit Generationen hier an der Saar arbeiten und denen die Grenzziehung eines Tages den Arbeitsplatz an der Saar nehmen kann. Nein, nehmen Sie dieses Land zwischen Rhein und Saar als Ganzes mit all seinen Problemen und helfen Sie durch Ihre Wahl die Saarfrage im deutschen Sinne zu lösen, denn sie ist das Problem Ihrer eigenen Heimat von Lambshorn bis hinüber nach Schweigen, von Hornbach bis hinauf nach Johanniskreuz. Unsere Sorgen beiderseits der Saargrenze sind die gleichen, gemeinsam wollen wir sie meistern und überall dort, wo das Band zwischen Saar und Rhein noch nicht zerrissen, das Gemeinsame erhalten und neue Bindungen schaffen. Gemeinsam ist uns heute noch unsere Kirche, den Katholiken ihr Bischof in Speyer, den Protestanten, zu denen ich mich zähle, die Pfälzische Landeskirche. Daran wollen wir uns weiter halten und zu diesem Bande neue knüpfen, bis wir wieder gemeinsam unser Schicksal meistern. Schließlich wollen Sie etwas über mich selbst erfahren. Das ist schnell erzählt: Ich bin in einem Bergmannsdorf als Sohn eines Knappschaftsarztes geboren und aufgewachsen, bin 44 Jahre alt, verheiratet und habe vier Buben und ein Mädchen, ich habe Wirtschafts? und Staatswissenschaften studiert und bis zum Kriege in Industrie und Großhandel gearbeitet. Nach dem Kriege war ich Amtsbürgermeister in Spiesen/Saar und anschließend Landrat in Homburg, bis ich 1952 entlassen wurde, weil ich mich zusammen mit meinen Freunden aus der SPD für das Verbleiben der Saar bei Deutschland einsetzte. Seit 1953 bin ich als Regierungsrat am staatlichen Hafenamt Ludwigshafen beschäftigt. Ich bin Protestant und seit einigen Jahren in der evangelischen Männerarbeit der Pfalz tätig. Ich wohne noch in Homburg, doch droht mir und meiner Familie täglich die Ausweisung, weil ich nach saarländischem Gesetz allein durch meine Kandidatur die saarländische Staatsangehörigkeit und das Heimatrecht verloren habe. Der SPD gehöre ich seit 1931 an. Als Vorkämpferin für die Einheit Deutschlands in Freiheit ist sie seit 1945 insbesondere durch Kurt Schumacher zäh und unbeirrbar dafür eingetreten, daß das deutsche Volk in einem geeinten Europa den ihm gebührenden Platz gleichberechtigt unter den freien Völkern wieder erhält. Ich bin davon überzeugt, daß ein besserer Bundestag unter sozialdemokratischer Führung dem Frieden dienen, den Wohlstand aller erhöhen und soziale Gerechtigkeit anstreben wird. Nützen Sie darum Ihr demokratisches Wahlrecht und treffen Sie eine Entscheidung, die Ihnen und Ihren Kindern zum Besten gereicht. Sozialdemokraten versprechen keine Wunder ? aber sie halten ihr Wort! Mit freundlichem Gruß Ihr (H. Trittelvitz)
Published:20.08.1953 - 06.09.1953