Bauer, kennst Du Deutschlands Not?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bauer, kennst Du Deutschlands Not? [] Welches ist Deutschlands Not? Der verlorene Krieg? Das Trümmerfeld unserer Städte? Die Hoffnungslosigkeit unserer Wirtschaft? Der Verlust unserer politischen Macht, unseres Ruhmes, unserer Ehre? [] Wenn d...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: N.N., Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auerdruck GmbH
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1947
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/7F95F2A6-367C-4259-8CEF-316E8B8B33B7
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Bauer, kennst Du Deutschlands Not? [] Welches ist Deutschlands Not? Der verlorene Krieg? Das Trümmerfeld unserer Städte? Die Hoffnungslosigkeit unserer Wirtschaft? Der Verlust unserer politischen Macht, unseres Ruhmes, unserer Ehre? [] Wenn du meinst, das alles sei Deutschlands Not, dann denke zurück an das Jahr 1933. [] Damals wurde gesät, was heute aufgegangen ist. [] Aber wenn es noch eine viel größere Not gibt? Die Not des Charakters, die Not der Seele, die Not des Gewissens! Weißt du da eine Ursache, Bauer? Da muß sich jeder Mensch selbst verantworten, du auch. Und vor wem? Vor jenen, deren Bilder du auf den folgenden Seiten findest. Sieh dir diese Bilder an. Sie sind nicht Nachbildungen von Aufnahmen aus den Nazi-Gefängnissen oder KZ-Lägern. Sie sind jetzt aufgenommen und stellen Flüchtlinge dar, die in der britischen Zone leben - leben? - nein, hungern, verhungern! [] Vor diesen verhungernden Menschen, die wirklich Menschen sind, verantworte dich, Bauer. Die Menschen in den großen Städten haben oft nicht ein ganzes Brot in der Woche, nicht einmal ein viertel Pfund Nährmittel in der Woche und so oft kein Fleisch, kein Fett, keine Butter, kein Ei, keine Milch, ach, und was es sonst noch geben sollte. Für jedes Stück Butter, das du issest, Bauer, für jedes Stück Speck oder Fleisch, für jedes Ei und für Gebäck, für jedes Glas Milch (du hast sogar Vollmilch), verantworte dich, Bauer. Betrüge dich nicht, Bauer, betrüge nicht deinen Charakter. Sieh, das ist unsere größte Not: die Schändlichkeit des Charakters. Du bist ein Christ, Bauer? [] Wenn ja, handelst du christlich? Bist du barmherzig? Liebst du deine Nächsten? Bei den Bildern dieser verhungernden Menschen: kannst du als Christ bestehen? Bist du nicht erschüttert bis in dein tiefstes Mark? [] Wenn du aber kein Christ bist, woran glaubst du dann? Glaubst du, daß du ein Mensch bist? Hast du als Mensch nicht eine Verpflichtung für andere Menschen? Glaubst du nicht an eine Menschenwürde? Fühlst du nicht den Schlag in das Gesicht deiner eigenen Menschenwürde beim Anblick dieser Verhungernden, die doch Menschen heißen wie du? Fühlst du nicht ein soziales Gewissen? Kannst du vor diesem sozialen Gewissen als Mensch bestehen? [] Ob Christ oder Nicht-Christ - wir sind heute für alle Menschen unseres Volkes verantwortlich. Jeder trägt eine Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber, du auch, Bauer. Keiner darf sich für sich abschließen und nur für sich sorgen. Wir haben kein Recht und keine Möglichkeit, daß Ausland um Hilfe anzubetteln, solange auch nur ein Mensch in Deutschland mehr zu essen hat, als er unbedingt notwendig zum Leben braucht. Und du hast mehr, Bauer. Verstecke dich nicht, verstelle dich nicht, belüge dich nicht und das Volk. Für das Trümmerfeld Deutschlands ist Hitler und seine Partei schuldig. Für deine Lüge bist du selber schuldig, Bauer. [] Wenn jeder, wie du, für jeden, der es schlechter hat als er - und du -, einsteht, dann werden wir erst einen Sozialismus wahrhaft haben: Und das erst ist Sozialismus. Ein Sozialismus aber ist das, was uns notwendig ist, was unsere Not wendet, ob wir Christen sind oder nicht. Das fühlt heute jeder Mensch. [] Prüfe dich selbst, was du wirklich brauchst, und was du abgeben kannst. Und gib. Warte nicht ab, was die Behörde von dir verlangt, sondern gib, was du irgend geben kannst. Und das wird mehr sein, als die Behörde von dir haben will. Gib nach der Vorschrift deines menschlichen Gewissens. [] Rufe nicht nach der Hilfe des Auslandes, [] bevor Du nicht selbst alles getan hast, was Du kannst [] Für jeden Bissen, den du mehr issest, als du unbedingt brauchst, für jedes Stück, das du schwarz verkaufst oder vertauschest, ob Verwandten oder Fremden, fühle dich in deinem Gewissen gepeinigt. Wenn du aber gibst, so wirst du den Lohn im Leben deines Volkes davontragen. [] Der Menschheit ganzer Jammer packt dich an! [] Hast du diese Bilder gesehen? Das ist des Menschen Leib! Und der Mensch ist mehr als nur sein Leib. Der Mensch ist eine Kreatur, zu leben, zu wirken, edel zu sein und sich zu freuen. Ehrfurcht vor dem Menschen heißt auch Ehrfurcht vor dem Leib. [] Wo aber der Leib geschändet wird, da ist auch die Freude geschändet, da ist all sein Wirken geschändet sein, Leben und Denken und auch sein Antlitz. Wer den Menschen schändet, der schändet auch seinen Schöpfer. [] Bedenke das, Bauer, und erkenne die Not! [] Gib, Bauer, und lindere die Not! [] 1947 [] Verlag und Druck: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auerdruck GmbH., Hamburg 1, Pressehaus
Published:1947